34.

[416] Die Undankbarkeit des teutschen Publicums gegen große Männer und die Ungerechtigkeit, womit es die Verdienste derjenigen zu miskennen oder zu vergessen pflegt, die, durch edle, nützliche Thaten oder durch ihre Schriften, sich als Wohlthäter der[416] Nation, der Nachwelt und der ganzen Menschheit ausgezeichnet haben, sind zu allgemein, als daß es schwer fallen könnte, Beyspiele von der Art anzuführen. Man ist in Teutschland nur zu bereit, den Mann bis an die Wolken zu erheben, zu vergöttern, ihn auf Unkosten aller seiner Vorgänger und Mitwerber zu loben, der auf irgend eine Weise Aufsehn erregt, eine veränderte Ordnung der Dinge bewürkt, ein neues Lehrgebäude aufstellt, oder in einer eignen Manier arbeitet; allein kaum tritt ein andrer Held des Tages auf; so rennt der nachäffende Haufen hinter diesem her; das brauchbarere, bessere Alte, wird durch neues Flickwerk verdrängt, kömmt aus der Mode und da, wo man würklich zu größerer Vollkommenheit fortgerückt ist, verläugnet man den Dank, welchen man denjenigen Männern schuldig geworden, auf deren mühsam gelegten Grund man, ohne große Anstrengung,[417] gebauet hat; ihre Namen werden kaum genannt, ja! man spottet wohl gar ihrer altväterischen Weise und vergißt, mit welchen Schwierigkeiten sie zu kämpfen gehabt haben, um uns den Weg zu höherer Ausbildung zu bahnen. Unsre ältern Dichter und vorzüglichsten prosaischen Schriftsteller in dem Fache der schönen Literatur: Hagedorn, Utz, Lichtwehr, Gellert, Kleist, Cronegk, Gleim, Rabner u.s.f. liest fast niemand mehr. Unsre jungen Leyermänner, Romanen-Sudler und Comödien-Fabricanten zucken die Achseln über diese Classiker. Kaum läßt man noch den unsterblichen Lessing gelten, obgleich er leider! keine Ritterstücke geschrieben hat. Herr Haschka heult Oden und glaubt wohl kaum, daß der, noch von keinem unsrer lyrischen Dichter übertroffene Ramler, etwas Aehnliches würde haben zu Stande bringen können, wenn ihn die hochwürdigen Patres societatis[418] Iesu in Wien gebildet hätten. Daß der arme Gottsched, der doch wahrlich wenigstens den Eifer für die Vervollkommnung unsrer Sprache erweckt hat, sich von jedem Stümper, der noch schlechter schreibt, als er, (obgleich in andrer Manier) muß verhöhnen lassen; versteht sich von selber.


Den verächtlichsten Undank zeigen die unbärtigen Weltweisen in unsern Tagen gegen die Verdienste der Wolfischen Philosophie. Seit mehrern Jahrtausenden sind wir in der Gewißheit über metaphysische Gegenstände nicht um einen einzigen Schritt fortgerückt. Wir wissen von dem Wesen der Dinge, von dem Zusammenhange im Universo, von der alles belebenden Kraft, von der unsichtbaren Natur – nichts. Vergebens versuchen wir es, die alltäglichsten Erscheinungen aus der Vernunft zu erklären. Wir sehen überall Bewegung und[419] nehmen doch nirgends einen leeren Raum an, in welchem sich die Materie bewegen könnte. So widersprechen sich unsre Lehrsätze, und in jedem Augenblicke stürzen die gemeinsten, unleugbarsten Erfahrungen ganze Kettenreihen unsrer Theorien über den Haufen. Es ist nicht nur keine einzige unleugbar erweisliche neue Wahrheit in diesem Fache durch Schlußfolgen a priori entdeckt worden (auch wird wohl nie der Menschheit auf Erden das Loos zu Theil werden, da klar zu sehn, wohin die Sinne nicht reichen) sondern selbst der Kreis, den unsre Speculationen durchlaufen, um wenigstens Wahrscheinlichkeit und Zusammenhang in unsre Träume zu bringen, scheint längst geschlossen zu seyn. Wer die Werke der ältern philosophischen Schulen studiert hat und sich nicht neue Kunst-Wörter, Einkleidungen und Mischungen, das heißt: neue Formen, für neue Materien, aufhängen läßt, weiß recht[420] gut, was er von dem Posaunentone der unbescheidenen Anhänger gewisser Systeme halten soll. Allein eben um die Form, in welcher wir unsre Ahnungen von den Gegenständen, die über unsern irdischen Gesichtskreis hinaus liegen, ordnen und Andern in gehöriger Deutlichkeit mittheilen können, hat die Wolfische Philosophie sich unendliche Verdienste erworben. Noch aber wurde uns Teutschen von den Ausländern unser barbarischer, steifer, pedantischer, unnöthiger Weise mit ausländischen Wörtern und Kunst-Ausdrücken überladener Schul-Styl zum Vorwurfe gemacht. Auch diesen Misstand haben dann die vorzüglichsten unsrer philosophischen Schriftsteller in diesem Jahrhunderte gehoben. Ich brauche nur die Namen Moses Mendelsohn und Garve zu nennen, um Beyspiele von Männern anzuführen, die uns gezeigt haben, daß sich sowohl speculative, als practische Sätze der[421] Vernunftweisheit so vortragen lassen, daß sie wenigstens solchen Personen, die sich gewöhnt haben, ihre Aufmerksamkeit auf ernsthafte Gegenstände zu heften, verständlich und annehmlich werden. Sie haben uns gezeigt, daß man Gründlichkeit mit Deutlichkeit und Anmuth vereinigen könne – nicht mit der Anmuth der Poesie oder der Rednerkünste, und der so genannten Schönschreiberey, welche die Einbildung und das Gefühl auf Kosten der Vernunft bestechen; sondern mit der Anmuth, die Klarheit und Würde erzeugen. Auf diesem Wege hätten wir fortarbeiten sollen, um von dem, was allen Classen von Menschen wichtig ist, auch unter alle Classen von Menschen wenigstens so helle Begriffe zu verbreiten, als zu Befriedigung einer lobenswerthen Wißbegierde und zu Beruhigung ihrer Herzen nützlich seyn kann; allein nun tritt eine neue philosophische Schule auf, die, in einer so[422] barbarischen Sprache, als noch nie in Büchern geredet worden, ein System auslegt, dessen Grundzüge freylich in einem Zeitalter, in welchem man das Studium der alten Literatur und der Geschichte der Philosophie so sehr zu vernachlässigen anfängt, leicht für neu gelten und Anhänger finden können. Gewiß ist es dem würdigen Stifter dieser philosophischen Secte, der für sein System eine Einkleidung wählte, die ihm grade die passendste schien, gar nicht eingefallen, damit eine Norm zu einer allgemeinen neuen philosophischen Sprache zu erfinden. Auch können die Unbescheidenheit und Marktschreyerey einiger seiner Schüler keinesweges auf seine Rechnung kommen. Allein, wie es dann in Teutschland geht, nicht genug, daß mit diesem Abracadabra philosophische Abhandlungen ausgeschmückt werden, glaubt der Haufen unverständiger Nachahmer sich ein gelehrtes Ansehn zu geben,[423] indem er sogar ästhetische Gegenstände auf diese Weise behandelt. Das heißt in der That die Regeln des guten Geschmacks in einer, allen guten Geschmack empörenden Sprache vortragen. Ja! politische und ökonomische Schriften werden in eine widersinnige Form dieser Art gebracht, mit fremden Kunstwörtern ausgeschmückt und erst kürzlich hat mir ein junger Mann, auf meine Bitte, von Jena aus eine Vorschrift geschickt, wie man Meth (ein gegohrnes Getränke, aus Honig gebrauet) verfertigt, in welchem die Wörter transscendental, Perfectibilität und Kategorie vorkommen. Doch immerhin könnte man es ruhig mit ansehn, daß diese Pedanterey eine kurze Zeit hindurch (denn lange wird sie sich wohl nicht erhalten) im Schwange gienge; wenn man aber hören muß, mit welchem Uebermuthe, mit welcher Prahlerey der Troß der Nachahmer und blinden Bewunderer[424] von den neuen Lehren und wie wegwerfend hingegen er von den Werken und Entdeckungen der weisesten und scharfsinnigsten Männer, die vor diesem Zeitpunkte sich allgemeine Achtung erworben haben, redet; welchen entscheidenden, absprechenden, höhnenden Ton diese Männlein über Jeden anstimmen, der Zweifel gegen die Neuheit, Haltbarkeit, Folgerichtigkeit und gegen den Zusammenhang dieses Systems äußert; so kann man sich eines bittern Unwillens nicht erwehren.1

Fußnoten

1 Es ist, meiner Meynung nach, her höchste Triumph der ächten Wahrheit, Weisheit und Erkenntniß, wenn sie sich in der größten Klarheit und Einfalt darstellen läßt. Die Kunst, über wichtige Gegenstände zugleich gründlich und populär zu schreiben, erfordert ein nicht gemeines Talent und Studium. Wer seine Sätze in einen dunkeln Vortrag einhüllt, täuscht gewöhnlich nur gar zu leicht entweder sich selbst, oder will Andre täuschen, indem er neue Worte für neue Sachen hält, oder ausgiebt. Neue Wahrheiten lassen sich, genau genommen, vielleicht gar nicht mehr in dieser Welt erfinden, wohl aber neue Verbindungen von Gedanken; allein auch zu diesen bedarf es keiner neuen Sprache. Es giebt keine geometrische Aufgabe, wovon die Auflösung, im strengsten Verstande, sich nicht in die gemeine Sprache übersetzen ließe. Allein die algebraische Form ist freylich für den Kunstverständigen einfacher und deutlicher. Derselbe Fall tritt bey andern positiven Wissenschaften ein; Kunstwörter kürzen oft den Ausdruck ab; Anatomiker haben jedem Muskel, Naturkündiger jeder Pflanze, einen Namen gegeben, und es ist bequemer sich an diese Namen, als an Umschreibungen zu halten; auch haben nur Kunstverständige ein Interesse, über solche Gegenstände zu reden, und lassen sich die Mühe nicht verdrießen, die einmal eingeführte Sprache zu erlernen. Ist hingegen von Sätzen, von Lehren die Rede, welche für jedes denkende Wesen ein hohes Interesse haben; so ist es Pflicht, seinem Vortrage so viel Deutlichkeit zu geben, als mit Gründlichkeit bestehn kann; und da zeigt sich's dann fast immer, daß Gründlichkeit und Deutlichkeit sich einander gar nicht im Wege stehen, sondern vielmehr sich wechseitig unterstützen. Will nun aber gar eine kleine Anzahl Menschen den Uebrigen eine, allein von ihnen erfundene dunkle Sprache aufdringen: so muß das, was sie auf diese Weise vortragen, so wichtig und zugleich so neu seyn, daß die Mühe, die ein gebildeter Mann auf die Entzifferung verwendet, belohnt werde. Sieht er sich von dieser Seite getäuscht; so darf ihn das Geschrey der Parthey, daß er sie nicht verstanden, nicht Scharfsinn genug habe, in den Geist ihrer Lehren zu dringen, so wenig wie die zu erwartenden Schmähungen partheyischer Kunstrichter, abhalten, das zu behaupten, was ihm seine nüchterne Vernunft eingiebt, und das ohne Ansehn der Person – Ich weiß wohl, daß diese Aeußerungen vielleicht um einige Jahre zu früh kommen, und daß mein Buch mit solchen Sätzen wenig Glück machen wird; aber das kümmert mich nicht. Mode, Autorität, fremde Machtsprüche und Menschenfurcht haben von je her wenig Gewalt über mich gehabt.

Quelle:
Adolph Freiherr von Knigge: Ueber Eigennutz und Undank. Leipzig 1796, S. 416-425.
Lizenz:
Kategorien:
Ausgewählte Ausgaben von
Ueber Eigennutz und Undank
Ueber Eigennutz und Undank
Über den Umgang mit Menschen / Über Eigennutz und Undank

Buchempfehlung

Haller, Albrecht von

Versuch Schweizerischer Gedichte

Versuch Schweizerischer Gedichte

»Zwar der Weise wählt nicht sein Geschicke; Doch er wendet Elend selbst zum Glücke. Fällt der Himmel, er kann Weise decken, Aber nicht schrecken.« Aus »Die Tugend« von Albrecht von Haller

130 Seiten, 7.80 Euro

Im Buch blättern
Ansehen bei Amazon

Buchempfehlung

Geschichten aus dem Sturm und Drang II. Sechs weitere Erzählungen

Geschichten aus dem Sturm und Drang II. Sechs weitere Erzählungen

Zwischen 1765 und 1785 geht ein Ruck durch die deutsche Literatur. Sehr junge Autoren lehnen sich auf gegen den belehrenden Charakter der - die damalige Geisteskultur beherrschenden - Aufklärung. Mit Fantasie und Gemütskraft stürmen und drängen sie gegen die Moralvorstellungen des Feudalsystems, setzen Gefühl vor Verstand und fordern die Selbstständigkeit des Originalgenies. Für den zweiten Band hat Michael Holzinger sechs weitere bewegende Erzählungen des Sturm und Drang ausgewählt.

424 Seiten, 19.80 Euro

Ansehen bei Amazon