Achtes Kapitel

[391] Über geheime Verbindungen und Dein Umgang mit den Mitgliedern derselben


1.


Unter die mancherlei schädlichen und unschädlichen Spielwerke, mit welchen sich unser philosophisches Jahrhundert beschäftigt, gehört auch die Menge geheimer Verbindungen und Orden verschiedner Art. Man wird heutzutage in allen Ständen wenig Menschen antreffen, die nicht von Wißbegierde, Tätigkeitstrieb, Geselligkeit oder Vorwitz geleitet, wenigstens eine Zeitlang Mitglieder einer solchen geheimen Verbrüderung gewesen wären. Und doch möchte es wohl nun endlich einmal Zeit sein, diese teils zwecklosen, törichten, teils dem gesellschaftlichen Leben gefährlichen Bündnisse aufzugeben. Ich habe mich lange genug mit diesen Dingen beschäftigt, um aus Erfahrung reden und jeden jungen Mann, dem seine Zeit lieb ist, abraten zu können, sich in irgendeine geheime Gesellschaft, sie möge Namen haben, wie sie wolle, aufnehmen zu lassen. Sie sind alle, freilich nicht im gleichen Grade, aber doch alle ohne Unterschied zugleich unnütz und gefährlich. Unnütz sind sie zuerst, weil man in unserm Zeit alter keine Art von wichtigem Unterrichte in Geheimnisse einzuhüllen braucht. Die christliche Religion ist so klar und befriedigend, daß sie nicht wie die Volksreligionen der alten Heiden einer geheimen Auslegung, einer doppelten Lehrart bedarf, und in den Wissenschaften werden die neuesten Entdeckungen zum Wohl der Welt öffentlich bekanntgemacht, müssen und sollen öffentlich bekanntgemacht werden, damit sie jeder Sachverständige prüfen und bewahrheiten könne. In den einzelnen Ländern hin gegen, wo noch Finsternis und Aberglauben herrschen, muß man den kommenden Tag erwarten. Man darf da nichts übereilen; man verdirbt oft mehr als man gutmacht, wenn man die Zwischenstufen[391] überspringen will; es hat gar keinen Nutzen, daß einzelne Menschen die Periode der Aufklärung zu beschleunigen trachten; auch können sie das nicht, und wenn sie es können, so ist es Pflicht, dies öffentlich zu tun, um desto mehr Pflicht, damit andre vernünftige Männer in demselben Lande und in andern Gegenden über den Beruf der Aufklärer, über den Wert der intellektuellen Ware, welche sie feilbieten, und darüber mögen urteilen können, ob das, was sie lehren, auch wirklich Aufklärung sei, oder ob sie nicht vielleicht schlechtre Münze ausprägen, als die ist, welche sie verrufen. Unnütz sind solche Verbindungen ferner von seiten ihrer Wirksamkeit, weil sie mehrenteils sich mit elenden Kleinigkeiten und abgeschmackten Zeremonien beschäftigen, eine Bildersprache reden, die alle mögliche Auslegung leidet, nach schlecht durchgedachten Plänen handeln, unvorsichtig in der Wahl ihrer Mitglieder sind, folglich bald ausarten, und wenn sie auch anfangs in ihrer Einrichtung Vorzüge vor öffentlichen Gesellschaften haben könnten, nachher dieselben und noch mehr solcher Gebrechen bei ihnen einreißen, über die man in der Welt klagt. Wer Lust hat, etwas Großes und Nützliches zu tun, der findet dazu im bürgerlichen und häuslichen Leben sehr viel Gelegenheit, die fast kein einziger ganz so anwendet, wie er könnte. Es müßte erst bewiesen werden, daß auf diesem öffentlich privilegierten Wege nichts mehr zu tun übrigbliebe oder daß dem warmen Befördrer des Guten unübersteigliche Hindernisse in den Weg gelegt wären, bevor man das Recht haben dürfte, sich einem vom Staate nicht sanktionierten, geheimen, besondern Wirkungskreis zu schaffen. Wohltätigkeit bedarf keiner mysteriösen Hülle; Freundschaft muß auf freier Wahl beruhn und Geselligkeit braucht nicht durch geheime Wege befördert zu werden.

Allein diese geheimen Verbindungen sind auch schädlich für die Welt. Schädlich, weil alles, was im Verborgnen geschieht, mit Recht in Verdacht gezogen werden kann; weil die Vorsteher der bürgerlichen Gesellschaft die Befugnis haben, von dem Zwecke jeder Tätigkeit, zu welcher sich mehrere vereinigen, sich unterrichten[392] zu lassen; weil sonst unter dem Schleier der Verborgenheit ebensowohl gefährliche Pläne und schädliche Lehren als edle Absichten und weise Kenntnisse versteckt sein können; weil selbst nicht alle Mitglieder von solchen verderblichen Absichten, die man zuweilen hinter der schönsten Außenseite zu verhüllen pflegt, unterrichtet sind; weil nur mittelmäßige Genies sich in diesen Schraubstock einzwängen lassen, die bessern hingegen entweder bald zurücktreten oder zugrunde gehen, ausarten und eine schiefe Richtung bekommen oder auf Unkosten der andern herrschen; weil mehrenteils unbekannte Obern im Hinterhalte stehen und es eines verständigen Mannes unwert ist, nach einem Plane zu arbeiten, den er nicht übersieht, für dessen Wichtigkeit und Güte ihm Leute einstehen – die er nicht kennt, denen er sich verbindlich machen muß, ohne daß sie sich ihm verbindlich machen, ohne daß er weiß, an wen er sich zu halten hat, wenn man ihm dafür gar nichts leistet; weil schiefe Köpfe und Schurken sich dies zunutze machen, sich zu unbekannten Obern aufwerfen und die übrigen Mitglieder zu ihren Privatabsichten mißbrauchen; weil jeder Erdensohn Leidenschaften hat und diese Leidenschaften also mit in die Gesellschaft bringt, wo sie dann im Schatten unter der Maske der Verborgenheit freiern Spielraum haben als am Tageslichte; weil alle diese Verbindungen durch nach und nach einschleichende üble Wahl der Mitglieder dahin ausarten; weil sie Geld und Zeit kosten; weil sie von ernsthaften bürgerlichen Geschäften ab zum Müßiggange oder zu zweckloser Geschäftigkeit leiten; weil sie bald der Sammelplatz von Abenteurern und Tagedieben werden; weil sie allerlei Gattung von politischer, religiöser und philosophischer Schwärmerei begünstigen; weil mönchischer esprit de corps bei ihnen einreißt und viel Unheil stiftet; endlich weil sie Gelegenheit zu Kabalen, Zwist, Verfolgung, Intoleranz und Ungerechtigkeit gegen gute Männer geben, die keine Mitglieder eines solchen oder wenigstens nicht desselben Ordens sind.

Dies ist mein Glaubensbekenntnis über geheime Verbindungen. Gibt es eine unter ihnen, die manche dieser Gebrechen nicht hat –[393] ei nun, so mag sie denn als Ausnahme gelten – ich kenne keine, die nicht wenigstens an einigen derselben krank läge.


2.


Ich rate daher nochmals, sich auf diese Modetorheit nicht einzulassen; sich sowenig als möglich um die Systeme, um das Personale und um die Schritte geheimer Verbindungen zu bekümmern; seine Zeit nicht mit Lesung ihrer Streitschriften zu verschwenden; vorsichtig im Reden über diesen Gegenstand zu sein, um sich Verdruß zu ersparen und weder ein gutes noch böses Urteil über solche Systeme zu wagen, weil der Grund derselben oft sehr tief verborgen liegt.


3.


Haben aber Vorwitz, übel geordnete Begierde tätig zu sein, Neugier, Überredung, Eitelkeit oder andre Bewegungsgründe Dich verleitet, in eine solche Verbindung zu treten, so hüte Dich wenigstens, von denselben Torheiten und Schwärmereien angesteckt, von demselben Sektengeiste hingerissen zu werden. Hüte Dich, das Spielwerk, die Maschine verkappter Bösewichte zu werden. Dringe, wenn Du kein Knabe mehr bist, auf deutliche Entwicklung des ganzen Systems. Nimm nicht eher andre auf, als bis Du selbst vollkommen unterrichtet bist. Laß Dich nicht durch rätselhafte Vorspiegelungen, durch große Verheißungen, durch blendende Pläne zum Besten der Menscheit, durch den Anschein von Uneigennützigkeit, Heiligkeit und Reinigkeit der Absicht blenden, sondern fordre Beweise von raten und gänzlicher Übersicht. Wirft man Dir dann Deinen Mangel an Empfänglichkeit, Deine Unwürdigkeit vor, so laß Dir erzählen, welche Eigenschaften die hohen Obern fordern, und beleuchte sie, diese Obern, selber nach ihrem Maßstabe, um ihren Wert, alle Eitelkeit beiseite gesetzt, gegen den Deinigen zu halten. Laß Dich aber durchaus nicht darauf ein, unbekannten Obern zu huldigen, möchte man auch noch so einleuchtend scheinende Gründe dafür anführen. Sei vorsichtig in jedem Worte, das Du in Ordensgeschäften[394] schreibst, und noch mehr in Übernehmung irgendeiner eidlichen oder andern Verbindlichkeit. Fordre Rechenschaft von Anwendung der Gelder, die man Dich bezahlen läßt. – Und wenn bei dieser vielfachen Vorsicht Du der Verbindlichkeit müde wirst oder die Verbindung Deiner überdrüssig wird, so trenne Dich ohne Geräusch und Zank von ihr und rede nachher nie wieder von der Sache, damit Du allen Verfolgungen ausweichst. Sollte man Dich aber dennoch nicht in Ruhe lassen, so tritt öffentlich auf und scheue Dich nicht, Betrug, Narrheit und Bosheit vor den Augen des ganzen Publikums andern zur Warnung bekanntzumachen![395]

Quelle:
Adolph Freiherr von Knigge: Über den Umgang mit Menschen. Frankfurt a.M. 1977, S. 391-396.
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