Das II. Capitel.

Von den äuserlichen fünff Sinnen des Menschen.

Daß so wohl die Thier als Menschen ihre Sinn haben / das weiß ein jeder / er wäre dann gäntzlich Sinn-und Witz-los. Was aber / und wie viel der menschlichen Sinnen / und wie sie beschaffen seyen / das bin ich da zu erörtern gesinnet. Was die innerliche Sinn betrifft (weilen dise recht zu verstehen / den ungestudirten schwer fallen wurde) will ich nur was wenigs darvon melden / das mehrere aber denen Philosophis überlassen.

Sage demnach / daß es nach glaubwürdiger Meynung 4. innerliche Sinn gebe: nemlich 1. sensum communem, den allgemeinen Sinn / oder die allgemeine Empfindnuß: 2. Die Phantasi oder Einbildungs-Krafft: 3. Die Æstimativam oder Entscheidungs-Krafft: 4. Die Memori oder Gedächtnuß.1 Dise 4. innerliche Sinn befinden sich in dem Hirn / welches in 4. sogenante Cellulas oder kleine Kämmerlein abgetheilt ist.

Der erste allgemeine Sinn ist / welcher allein die Gegensätz und Würckungen aller äusserlicher Sinnen begreifft und unterscheidet / das ist / welcher erkennt /daß jetzt diese oder jene Farb gesehen werde / dieser Thon gehört / und dieser Geruch geschmeckt werde etc. Der andere Sinn / die Phantasi, ist jene Vermögenheit / durch welche wir uns die Gestalt eines abwesenden Dings als gegenwärtig vorstellen und einbilden: Der dritte Sinn oder Æstimativa ist / durch welche wir die jenige Ding / welche von keinem äusserlichen Sinn begriffen werden / entscheiden / ob sie uns anständig oder unanständig seyen etc. Der vierte innerliche Sinn / die Memori oder Gedächtnuß ist /welche die Gestalten der vergangenen Sachen / zum Exempel der gehörten Music / des gesehenen Gemähls etc. aufbehaltet / zu dem Ende / daß wir uns derselben zu seiner Zeit widerum erinnern können. Die erste zwey innerliche Sinn haben ihren Sitz in denen 2. vorderen Zellulen des Hirns / näher gegen der Stirnen: Die andere 2. in denen hinteren zweyen bey dem Genick: deßwegen / wann uns etwas nicht mehr einfallen will / was wir zuvor gewust haben / da pflegen wir im Genick zu kratzen / die Species in der Gedächtnuß aufzuwecken: welches auch öffters nicht ohne erwünschten Effect geschiehet.


Quelle:
Kobolt, Willibald: Die Groß- und Kleine Welt, Natürlich-Sittlich- und Politischer Weiß zum Lust und Nutzen vorgestellt [...]. Augsburg 1738, S. 165.
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