Der 4. Absatz.

Von der Haut des Menschen.

[238] Die Haut / so lang sie an einem lebendigen Menschen hanget / wird Cutis genennt / wann sie aber von dem Fleisch abgezogen ist / Exuvia: sonsten auch Pellis à pellendo, weil sie die injurias aëris, als Wind /Regen und Schnee etc. vom blossen Leib abtreibet /oder abhaltet.90 Es ist aber die Haut eigentlich die Bedeckung und Uberzug des gantzen Leibs: sie ist eine membrana mit unzahlbaren kleinen Fäßerlein gleichsam durchwürcket / zwischen welchen die kleine Schweiß-Löchlein / und auch die grosse Aus- und Eingangs-Löcher / als der Mund / Nasen etc. sich befinden. Die Haut ist am allerdickisten in dem Nacken / in dem Rucken schon etwas dinners / noch dinner in der Seiten / am allerdinnisten aber im Angesicht / und denen Leffzen.

Ein schöne zart- und weise / mit roth vermengte Haut gibt dem menschlichen Leib eine grosse Zierd /absonderlich macht sie ein schönes lebhafftes Angesicht / und ist deßwegen sehr beliebt: absonderlich wird ein solche von denen Weibsbilderen sehr starck verlangt / also daß sie zum öffteren mit der Haut / so ihnen GOTT und die Natur im Angesicht hat wachsen lassen / nicht zufrieden seynd / sondern durch Fleiß und Kunst mit vilem Waschen und Reiben / mit falschem Anstrich etc. ein schönere und zärtere Haut wollen zuwegen bringen; sie wollen halt mit Gewalt schön seyn.91 Ja so gar lise ich von einem alten Weib zu Pariß in Franckreich / welche ihrer geruntzleten schwartzen Haut also überdrüßig / und der Schönheit so begierig ware / daß sie sich entschlossen auch so gar schinden / oder die Haut im Angesicht abziehen zu lassen / in Hoffnung / daß ihr ein schöne neue wachsen soll / und sie wiederum jung und schön aussehen werde. O wohl ein rechte Haut- ja eine Haupt-Närrin!

Aber diese zu Pariß ist nicht alleinig / dergleichen Haut- und Haupt-Närrinen gibt es noch unzahlbare in Teutschland und anderstwo / welche zwar so vil Hertz bey weitem nicht haben / daß sie ihnen die Haut im Angesicht liessen abschinden / nein / das thäte vil zu wehe / sie seynd vil zu haicklich / und können kaum einen Floh-Stich erdulten / aber mit einem falschen Anstrich wollen sie es erzwingen / und mit Gewalt schön werden / oder aufs wenigst für schön angesehen werden.92

Ein manche zwar adeliche / aber schon alte und häßliche Runkunckel / wann sie schon ein Angesicht hat so voller Runtzlen / als wie ein Acker / auf dem man allererst gepfluget hat / wann schon ihre Augen trieffen / als wie 2. Distillir-Kolben / wann schon ihre Nasen aussiehet / als wie ein Grottenwerck von lauter Bimsen-Stein / wann schon ihre Wangen herab hangen / als wie ein eingeschnurftes Leder / wann sie schon Wartzen hat / als wann die Schermäuß hätten aufgeworffen / wann[238] schon ihr Maul aussiehet als wie ein rostiges Schloß an einer alten Keller-Thür / und die Zähn / als wie ein durchbrochner und übel zerrißner Garten-Zaun / so will sie sich doch nicht ergeben /sie will mit Gewalt aus einer schandlichen Hecuba ein schöne Helena werden / und noch einen Mann bekommen. Zu diesem End nimmt sie den Spiegel zum Gehülffen und Rathgeber / vor diesem schmuckt und butzt sie sich / sie reibet / zieret / poliret und schmieret sich / sie bemühet sich auf alle Weiß die Wunden der Häßlichkeit zu heilen / die Gruben einzufüllen /die Stirn und Wangen schön zart / glatt / weiß und weich zu machen: hernach kommt sie erst mit einem Fürneiß / mit einem Fleisch-farben Anstrich darüber /und verschmieret mehr daran / als die Haut selber werth ist / mit unterschiedlichen Pülverlein / Wässerlein / Säfftlein / Sälblein etc. Sie kommen mir vor /als wie ein altes baufälliges Hauß / wann es wiederum neu ist angestrichen worden / oder wie ein alter wurmstichiger Grimpel-Kasten / wann er von neuem ist gefürneißt worden / oder / wann ichs sagen darff / als wie s.v. ein Misthauffen / wann er mit neu-gefallnem Schnee bedeckt / O wie schön ist er! aber wann ein Regen oder Sonnenschein darüber kommt / und wascht ihne ab / da heißt es: pfui / wie stinckt er.


Ich bild mir gäntzlich ein /

Nichts närrschers könn seyn /

Als wann ein schon Alte /

Und gantz Ungestalte /

Durch falschen Anstrich

Schön machen will sich.


Ich höre / es seye in Welschland der Brauch / daß man in Fleisch-Gewölberen das Fleisch mit Rausch-Gold / Blumen und Lemoni-Blätteren ausziere / damit es denen Käufferen besser in die Augen falle / und sie Lust darzu bekommen. Fast eben also machen es die Hoffärtige Mägdlein auch von geringem Stand: wann sie die Wochen hindurch mit Spinnen oder Nehen etliche Groschen gewunnen haben / und am Sonntag zum Tantz oder in das Wirthshauß gehen wollen / da muß ein Theil von dem Geldlein auf den Anstrich verwendet werden / damit sie denen jungen Gesellen gefallen mögen.

Aber höret / was der H. Augustinus hiervon haltet: ô quanta amentia est effigiem mutare naturæ, picturam quære? was für ein Thorheit ist es / daß man das wahrhaffte Original der Natur mit Farben sucht zu veränderen! durch den Ehebruch thut man zwar die eheliche Treu und Keuschheit / aber durch den betrüglichen Anstrich die Natur selber angreiffen und verfälschen.

Ein anderer bewährter Scribent sagt: conspuunt quodammodo in Dei faciem mulieres, quæ faciem stibio liniunt, & facies adulterant,93 die Weiber / so aus Hoffart einen falschen Anstrich brauchen / und ihre Gesichter verstellen / speyen Christo dem HErrn gleichsam in das Angesicht.

Wie sehr dieser Betrug GOtt mißfalle / das hat die stoltze Königin Jezabel nur gar zu wohl mit ihrem höchsten Schaden erfahren: indem sie auch zur Zeit der Todts-Gefahr ihr Angesicht mit dem Anstrich übermahlet / das Haupt gar eitel gezieret hat / und frech zum Fenster hinauß gesehen. Aber GOTT hat es geschickt / daß sie auf den Befehl des sieghafften Jehu auf die Gassen ist herab gestürtzt / und ihr Cörper von denen Hunden ist aufgefressen worden / das ware ein erschröckliche Straff!94

Hingegen lächerlich und doch merckwürdig ist /was ich von einem gewissen Frauenbild / Phrinis mit Namen / lise.95 Diese Phrinis ware von Angesicht überaus schön und wohlgestalt: als sie aber einstens in eine Gesellschafft (jetziger Zeit / wo man sich /Teutsch zu reden schämet / heißt mans Assembleé) kommen / worbey sich ein zimmliche Anzahl des Frauenzimmers eingefunden hat / welche alle stattlich aufgebutzt und zierlich geschmuckt waren: eine jede aus ihnen bildete ihr kräfftig ein / daß sie aufs wenigist um etliche Loth oder Quintlein schöner seye als die anderen.96 Aber Phrinis, die von Natur nicht nur schön / sondern[239] auch arglistig ware / vermerckte gar bald / daß bey denen mehristen ein Betrug darhinter stecke / und ihre Schönheit nicht von der Natur / sondern nur von einem Pemsel oder falschen Anstrich herkomme. Welches / als ihr præjudicirlich / sie nicht wenig verdrosse.

Sie fanget also unter dem Schein einer Kurtzweil ein Spiel an / welches man Müssen nennt / indem der verspielende Theil unverweigerlich thun muß / was ihme der gewinnende auferlegt. Wie nun die Ordnung des Gebietens an die schöne Phrinis kommen / da sagte sie: Allo Madames, was sie mich sehen thun /das müssen sie mir alle nachmachen. Darauf liesse sie ihr in einem Gieß-Becken frisches Bronnen-Wasser reichen / sie nahme ein sauberes kleines Tuch / und fienge an das Angesicht zu reiben und zu waschen /als wann sie sich lange Zeit nie gewaschen hätte / und dieses geschahe ohne einzigen Nachtheil ihres schönen Angesichts. Als sie aber das andere gefürneißte Frauenzimmer ein gleiches zu thun anmahnte / da seynd sie gewaltig erschrocken / und wolten durchaus nicht daran; dann sie hatten ein böses Gewissen / und gedachten wohl / es wurde ihre falsche Schönheit bey diesem Gewässer einen starcken Schiffbruch leiden /oder gäntzlich zu Grund gehen: sie entschuldigten sich auf unterschiedliche Weiß / die eine / sie habe einen Catharr / die zweyte / sie habe einen Fluß in Augen / die dritte / sie habe unlängst Zahn-Schmertzen gehabt etc. das Annetzen wurde ihr schädlich seyn. Aber alles umsonst / die Phrinis wolte nicht aussetzen / es mußte bedingter massen gewaschen seyn. Kaum aber fiengen sie an das Gesicht ein wenig zu netzen und zu reiben / da verliesse die schöne Leib-Farb alsobald ihre Wangen / und bliebe an dem nassen Tüchlein hangen. O da ware es ein miserabler Aspect, ein erbärmliches Aussehen! Sie stunden da mit ihren blaichen / mageren / geruntzleten / wüsten /schwartzen Gesichteren / daß es ein Elend ware. Die schöne Phrinis aber lachte ihr die Haut voll an / und truge den Sieg der Schönheit allein darvon. O wie vil besser hätten diese gethan / wann sie an statt des falschen Anstrichs in dem Angesicht / ihre Seelen mit der weissen Farb der Reinigkeit / und mit der rothen der Schamhafftigkeit gezieret hatten / welche von keinem Regen kan abgewaschen / noch von einigem Ungewitter verderbt werden.

Sonsten kan durch die menschliche Haut die äusserliche Conversation, oder der Wandel des Menschen verstanden werden: dann / gleichwie die Haut allein gesehen / die innere Theil aber des Leibs von derselben verdeckt werden / also werden offtermahl die innerliche Affect, Vorhaben und Anmuthungen durch die äusserliche Werck / welche alleinig unter die Augen fallen / verdeckt und verborgen; dann: Homo videt ea, quæ sunt in facie, Deus autem in corde: Der Mensch siehet was im Angesicht ist /GOTT aber was im Hertzen.97

Die Klugheit der Schlangen wird in Heil. Schrifft unter anderen absonderlich in diesem gerühmt / daß /wann sie eraltet ist / durch ein enges Loch durchschliefft und durchdringt / und also die alte Haut abstreifft / auf daß ihr ein neue und frische wachse. Dieses geschieht aus Antrieb der Natur / aber aus Antrieb der Gnad soll geschehen / was der Heil. Apostel Paulus von uns haben will / wann er sagt: Expoliantes veterem hominem, induimini novum etc.98 Ziehet aus den alten Menschen / und leget einen neuen an / schlieffet in eine neue Haut / das ist / leget ab die alte böse Gewohnheit und Sitten / und nemmet neue bessere an euch.

Die Häut der unvernünfftigen Thieren / benanntlich der Schaafen / werden auf unterschiedliche Weiß gearbeitet und zugericht; dann erstlich besprengt man sie mit Aschen / auf daß die Haar darvon lassen: alsdann werden sie in den Staub der gestampfften Baum-Rinden gelegt / und in dem Kalch eingetaucht / her nach mit Wasser[240] genetzt und geschwungen / letztlich mit scharpffen Messeren abgeschaben / und also zu unterschiedlichem Gebrauch / absonderlich zum Schreiben wichtiger Sachen applicirt / und in die Königlich- und Fürstliche Archiv hinterlegt und aufbehalten.99 Eben also sollen wir auch die Haut unseres Leibs sittlicher Weiß mit der Aschen und dem Staub /das ist / mit der Gedächtnuß des bitteren Tods besprengen / und einäscheren: im Wasser der Zäher befeuchten / an dem Holtz des Creutzes Christi ausdähnen / und mit dem scharpffen Messer der Mortification allen Unflath der Sünd- und Lasteren abschaben /auf daß sie tauglich und würdig werden zu allerhand guten Wercken / und endlich samt der Seel in die geheime Schreib-Kammer / oder in das Archiv des himmlischen Königs gelegt zu werden.

Quelle:
Kobolt, Willibald: Die Groß- und Kleine Welt, Natürlich-Sittlich- und Politischer Weiß zum Lust und Nutzen vorgestellt [...]. Augsburg 1738, S. 238-241.
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