Der 5. Absatz.

Von denen Gebein des Menschen.

[241] Die Gebein seynd die stärckiste und härtiste Theil des gantzen Leibs / so die andere schwächere und waiche unterstützen und aufrecht erhalten / als wie die Wänd und Balcken in einem Gebäu.100 Die Bein haben ihre Nahrung von dem Blut / so wohl als die fleischige Theil: das Marck in den Beinen ist eben so vil als die Fette in dem Fleisch / nemlich ein Oel / so die Knochen befeuchtet und erhaltet: dero Bewegung geschieht durch die Gelenck und Zusammenfügung der Beine vermittelst der Nerven. Ubrigens seynd die Gebein von Natur weiß / dürr und unempfindlich / sie verfaulen in langer Zeit nicht / sie werden weder im Wasser erwaicht / weder im Feur gebogen: und obwohlen sie mitten im Fleisch und Blut sich befinden /so verderben sie darum nicht in demselben. Was die Menge der so wohl klein- als grossen Beiner in dem menschlichen Leib anbelangt / so seynd derselben nach glaubwürdiger Meinung der Herren Medicorum 247. und zwar 59. in dem Haupt / 68. in dem Stamm oder Rumpff des Leibs / 120. aber in denen Zusammenfügungen der Mäußlein.

Diese Eigenschafften der Gebein deuten uns gar füglich an die Qualitäten / so die Vorsteher und Regenten / absonderlich die geistliche Obere haben sollen: dann sie sollen erstlich die stärckiste / das ist /die tugend- und daurhafftiste seyn in dem sittlichen Leib einer geistlichen Communität / oder eines gemeinen Wesens (gleichwie die Bein in dem natürlichen Leib) damit sie die gemeine als schwächere unterstützen und aufrecht / das ist / in gutem Stand erhalten mögen: wie der Heil. Apostel Paulus sagt: debemus nos firmiores imbecillitatem infirmorum sustinere: wir / die etwas stärcker seynd / sollen tragen der Schwächeren Gebrechlichkeit.101 Sie sollen auch als wie die Bein weiß seyn vermög der Reinigkeit / dürr durch die Mäßigkeit / starck und hart aber in der Standhafftigkeit / und unempfindlich durch die Gedult: sie sollen niemahl verwesen durch die Trägheit: sie sollen sich weder verzehren lassen durch das Feur der Trübsal / noch erweichen durch das Gewässer der Wollüsten und Gemächlichkeiten.

Ferners / obwohlen diese sittliche Gebein / die geistliche Vorsteher und Obere mit Fleisch und Blut /ich will sagen mit Ehren und Reichthumen gleichsam bekleidet / oder mit Fleisch und Blut / das ist / mit Blutsverwandten / mit Favoriten / Schmeichler und Aufwarteren umgeben seynd / so sollen sie doch von denselben sich nicht lassen verderben und einnemmen: wohl aber sollen sie selbst untereinander und mit ihren Untergebnen und Mitgliederen durch die Strick und Band der Lieb und Einigkeit / gleichwie die Bein durch die Nerven verknüpfft und verbunden seyn / auf daß der sittliche Leib der Communität oder Gemeind mit den Worten des Jobs zu GOtt sprechen möge: Pelle & carne vestisti me, ossibus & nervis compegisti me: Du hast mir Haut und Fleisch umgezogen / mit Bein und Aderen hast[241] du mich zusammen gefügt. Absonderlich sollen sie angefüllt seyn mit dem Marck der Milde und Gütigkeit / von welcher alle Mitglieder einen Genuß / Krafft und Stärcke empfangen: und obwohlen die Bein / wie schon gemeldt /an sich selber gantz hart / so seynd sie doch von aussen mit weichem Fleisch überzogen: also mögen auch die Geistliche wohl ihnen selbst durch ein mässige Strengheit des Lebens hart seyn / aber anderen sollen sie sich durch die Sanfftmuth gelind und glimpffig erweisen: alsdann wird man von ihnen sagen können: ossa vestra quasi herba germinabunt, eure Bein werden grünen wie das Gras.

Aber auch im Gegentheil können die gottlose und verstockte Sünder durch die Bein verstanden werden: dann sie seynd als wie die Bein / hart / wegen der Härtigkeit und Verstockung ihres Hertzens: sie lassen sich weder durch das Feur der Lieb bezwingen /weder durch das Wasser der Göttlichen Gnaden erweichen: sie seynd dürr / hohl und leer / weil sie weder einen Safft der Andacht / noch ein Marck des Mitleidens und der Gütigkeit haben: also / daß an ihnen erfüllt wird der Spruch des Psalmisten: ossa mea sicut cremium aruerunt:102 meine Gebein seynd verdorret als wie ein dürres Holtz / und werden gar leicht von dem Feur der bösen Begierden ergriffen. Sie seynd auch umgeben und stecken mitten im Fleisch und Blut / das ist / in den fleischlichen Begierden und Wollüsten: hingegen aber seynd sie gantz unempfindlich zu denen guten Ermahnungen und Zusprüchen / oder unempfindlich / das ist / ohne Mitleiden gegen denen Bedrangten und Nothleydenden: aber gantz nicht (als wie die Gebein im menschlichen Leib) versammlet und verbunden durch die Nerven und Aderen / das ist / durch die Strick und Band der Lieb und Einigkeit / sondern vilmehr kan von ihnen gesagt werden: dispersa sunt ossa mea secus infernum,103 unsere Bein seynd zerbrochen und zerstreuet worden bey der Höllen.[242]

Fußnoten

1 Ampt und Beschaffenheit der Aermen.


2 Der Sohn GOttes ist der Arm des himmlischen Vaters.

Luc. c. 1. v. 51.


3 Psal. 88. v. 11.


4 Psal. 76. v. 16.


5 Oseæ c. 11. v. 3.


6 Isaiæ c. 33. v. 2.


7 Geistlich- und weltliche Obrigkeit seynd 2. sittliche Aerm.

Psal. 17. v. 35.


8 Die Händ seynd gar nutzlich- und nothwendige Glieder.


9 Durch die Händ werden unsere Werck und Vorhaben / ja der gantze innerliche Mensch angedeutet und vorgestellt.


10 Matth. c. 6. v. 3.


11 Vierfache Hand GOttes.


12 Sap. c. 11. v. 18.


13 Isaiæ c. 49. v. 2.


14 Psal. 43. v. 3.


15 Psal. 144. v. 16.


16 Psal. 94. v. 4.


17 Job. c. 30. v. 21.


18 Psal. 31. v. 4.


19 Die Händ des Menschen sollen sich auf dreyerley Weiß zeigen.

Psal. 62. v. 5.


20 1. ad Tim. c. 2.


21 Prov. c. 31. v. 20.


22 Cant. c. 5. v. 5.


23 Böse und schädliche Händ.


24 Isaiæ c. 1. v. 15.


25 Exodi c. 4. v. 6.


26 Gen. c. 27. v. 22.


27 Isaiæ c. 59. v. 3.


28 Psal. 25. v. 10.


29 Man soll ihm selber fleißig auf die Händ schauen.


30 Zach. c. 8. v. 13.


31 4. Reg. c. 10.


32 Die rechte Hand bedeutet den geistlichen / und die lincke den weltlichen Stand.


33 Matth. c. 6. v. 33.


34 Marci c. 8. v. 36.


35 Prov. c. 4. v. 27.


36 Die 5. Finger werden sittlicher Weiß ausgelegt.


37 Psal. 17. v. 45.


38 Wunderwürdige Finger gewisser Heiligen.


39 Finger-Ring tragen ist ein sehr alter Brauch.


40 Gen. c. 41. v. 42.


41 Gen. c. 41. v. 42.


42 Esther c. 3. v. 10.


43 Luc. c. 15. v. 22.


44 Unterschiedliche kostbar- und künstliche Ring.


45 Innocent. III. übersendet König Richardo 4. Ring mit sittlicher Auslegung derselben.


46 Der Gebrauch und die Bedeutung der Finger-Ringen ist unterschiedlich.


47 Braut-Ring.


48 Denck-Ring.


49 Cant. c. 8. v. 6.


50 Der Ring ist ein Anzeigen der Ewigkeit.


51 Eccli. c. 7. v. 40.


52 Das Ampt und die Beschaffenheit der Füssen.


53 Die 2. Füß bedeuten die Liebe GOttes und des Nächsten.


54 Ad. Coloss. c. 3. v. 14.


55 Greg. in homil.


56 S. Greg. in hom.


57 Durch die Füß seynd die Affectiones oder Gemüths-Neigungen zu verstehen.


58 Dan. c. 2. v. 32. etc.


59 Ezech. c. 1. v. 7.


60 Arme / Baursleuth und Unterthanen seynd die Füß des gemeinen Weesens.


61 Böse und schädliche Füß in sittlichem Verstand.


62 Isaiæ c. 3. v. 16.

Psal. 35. v. 12.

Job. c. 31. v. 5.

Dan. c. 7. v. 19.


63 Jerem. c. 38. v. 22.


64 Isaiæ c. 37. v. 25.


65 Der Willen ersetzet das Werck.


66 Luc. c. 21. v. 2.


67 Das Tantzen ist unterschidlich und vilfältig.


68 Ob das Tantzen zuläßig und unsträfflich seye oder nicht.


69 Tantzen ist ein alter Brauch.


70 2. Reg. c. 6.


71 Exodi c. 32. v. 6.


72 Eccli. c. 3. v. 4.


73 Der Mißbrauch des Tantzens wird getadlet.


74 Marci c. 6. v. 23 etc.


75 Vilfältiger Schaden des frechen Tantzens wird erwiesen.


76 Gen. c. 34.


77 Eccli. c. 9. v. 4.


78 Job. c. 21. v. 12.


79 Historia.


80 Historia.


81 Ein geistliches Täntzlein.


82 Das Podagra ist ein verdrießlich- und schmertzhafter Affect.


83 Was Mittels darfür seye.


84 lib. 6. ep. 89. de rebus famil.


85 lib. 6. lect. antiq.


86 lib. 9. ep. 2.


87 Job. c. 16. v. 1.


88 Die Gesellschafft der Podagränischen ist groß und adelich.


89 Die Gedult im Podagra ist sehr nothwendig und verdienstlich.


90 Die Beschaffenheit der Haut.


91 Ein schönes Angesicht ist angenehm.


92 Falscher Anstrich der hoffärtigen Weiber wird gescholten.


93 Aloysius Novarinus in c. 26. Matthæi.


94 4. Reg. c. 9.


95 Falsche Schönheit wird lächerlich entdeckt und zu schanden.


96 Geschicht.


97 Durch die Haut werden die äusserliche Werck verstanden.


98 Ad. Coloss. c. 3. v. 9.


99 Wie die menschliche Haut geistlicher Weiß solle zugerichtet werden.


100 Die Eigenschafften und Beschaffenheit der Gebein.


101 Geistliche Vorsteher und Regenten werden durch die Gebein beditten.


102 Psal. 101. v. 4.


103 Psal. 140. v. 7.


Quelle:
Kobolt, Willibald: Die Groß- und Kleine Welt, Natürlich-Sittlich- und Politischer Weiß zum Lust und Nutzen vorgestellt [...]. Augsburg 1738.
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