Der 5. Absatz.

Von dem Dachs und Igel.

[336] Taxus, der Dachs ist ein kleines / doch zimmlich dickes und sehr wehrhafftes Thier / er hat gar kurtze Füß und ein starckes Biß / mit welchem er den Hunden /so ihn angreiffen / vil zu schaffen gibt: er ist auch wider dero Biß mit einer harten / starck- und rauhen Haut oder Balg zimmlich wohl versehen.35

Es gibt aber zweyerley Arten der Dachsen / nemlich Hund-Dachsen und Schwein-Dachsen (die aber nie beysammen wohnen) jene haben kürtzere Mäuler und gespaltene Dappen wie die Hund: diese aber haben ein langes Maul oder Rüssel / schier wie die Schwein / und gespaltene Klauen: auf dem Kopff und Rucken seynd sie zimmlich schwartz / sonsten grauer Farb / mit einem kurtz- aber dicken Schweiff.

Die Dachs machen ihre Höhle (auf waidmännisch Dachsen-Bau genannt) unter der Erden mit grossem Vortheil / wohin sie allerley Nahrung schleppen / und auf den bevorstehenden Winter sich versehen: wann aber die Nahrung zu frühe ausgehet / so schlaffen sie die übrige Zeit an statt dessen / und nähren sich durch die Verzehrung der innerlichen Fettigkeit ihres Leibs. Wann sie ihre Junge erzogen haben / so vertreiben sie selbe aus ihrer Höhle / auf daß sie ihnen selbst eigne Wohnungen verschaffen sollen. Im anderen Jahr bekommen sie ihre vollkommne Grösse / und leben zimmlich vil Jahr lang. Man schreibt von ihnen / daß / wann sie eine Höhle ausgraben / da lege sich einer auf den Rucken / die andere aber beladen ihn mit der ausgegrabnen Erden / und ziehen ihn bey den Füssen mit dem Maul herauß / und brauchen ihn also für ein Wägelein so offt und lang / biß daß die Höhle weit genug und ausgeraumt ist.

Es thut sich auch der Dachs klüglich vorsehen wider den Wind und das Ungewitter: dann er macht 2. Löcher oder Ein- und Ausgäng in seiner Höhle: und wann der Sud- oder Mittag-Wind wehet / da vermacht und verstopfft er die Thür oder Eingang gegen Mittag / und läßt die andere gegen Nord oder Mitternacht offen stehen.36 Hingegen / wann der Nord- oder Mitternacht-Wind blaset / da vermacht er den Eingang gegen der Nord-Seiten / und lasset die andere gegen West offen: und zwar nicht anderst / als mit seinem dicken zotteten Schweiff pflegt er die Löcher oder Eingäng seiner Höhle zu verstopffen. Dise Fürsichtig-und Behutsamkeit des[336] Dachsen ist wohl würdig / daß der Mensch dieselbe imitire / und die Wohnung seines Hertzens durch Betrachtung der 4. letzten Ding so fleißig verwahre / als wie der Dachs seine Höhle / so wohl wann der sanffte Mittag- oder Sud-Wind der zeitlichen Wohlfahrt blaset durch Erinnerung der ewigen Unglückseeligkeit / als wann der rauhe Nord-oder Mitternacht-Wind der Trübsal oder Widerwärtigkeiten blaset durch das Angedencken der ewigen Freuden / damit man nicht zu muthwillig werde in der Freud / noch zu kleinmüthig in dem Leid: dann omnis fortuna timenda est prospera & adversa, wie der H. Gregorius sagt / so wohl in dem Glück als Unglück soll man sich förchten und behutsam seyn. Die Thüren aber / die Ein- und Ausgäng des menschlichen Hertzens seynd die Affectiones oder Anmuthungen /und diese sollen weder der unordentlichen Freud /noch der unmäßigen Traurigkeit gar zu frey und offen stehen.

Daß aber der Dachs in dem Sommer sich mit dem Proviant oder nothwendigen Nahrung versihet auf den Winter / das lehret und ermahnet uns gute Werck zu üben in dem Leben / auf daß wir derselben Früchten geniessen mögen in dem Todt.

Was aber den Igel / Herinaceum anbelangt / so gibt es derselben auch zweyerley / nemlich Hund-Igel und Schwein-Igel.37 Diese haben einen kleinen Rüssel / als wie die Schwein / jene aber seynd dem Maul nach den Hunden ähnlicher.

Es ist aber der Igel ein zwar klein- und unansehnliches / doch von der Natur wohl bewaffnetes / und mit viel spitzigen Stachlen / als eben so vil Spieß und Degen versehenes Thierlein: welche Spitz und Stachlen er nach Belieben einziehen oder ausstrecken kan. Wann die Menschen oder Thier ihn angreiffen wollen / so stechen sie sich an ihm / und tragen blutige Händ oder Mäuler darvon; massen er sich in eine Kugel zusammen zieht / daß man weder Kopff noch Füß / sondern nur einen Balg / dick mit lauter spitzigen Stachlen eines Zoll langs / angesteckt sihet.

Die Igel wohnen in dicken Hecken und in den Weingärten / sonderlich zur Herbst-Zeit: im Winter aber verschlieffen sie sich in ihre Löcher oder Höhlen / die sie eben so vortheilhafftig als wie die Dachsen machen / und mit 2. Eingäng versehen / den aber / so gegen dem Wind stehet / vermachen: wohin sie auch ihre Nahrung für den Winter eintragen: dann der Igel ist ein listiges Thier / wann er Obs oder dergleichen auf dem Boden findet / da weltzt er sich darauf / und wann seine Stachlen voll darmit angestecket seynd /da traget ers in seine Höhle. Die Fürsichtigkeit des Igels in Erbauung seiner Höhle und in Verschaffung der Nahrung ist zwar löblich und wohl Nachfolgens-würdig / aber sein immerwährendes Stechen ist nicht löblich. Wann er sich nur wehren thäte / wann man ihn schlaget oder verfolget / so wäre es ein anders: aber er sticht / wann man ihn nur anrühret etc. Solche stechende Igel seynd in sittlichem Verstand die ungedultigzornig- und bißige Menschen / welche gar nichts leiden können / sondern immerdar auf alle Seiten stechen und beissen: man kan sie nicht anrühren /daß man unbeschädiget darvon komme: so vil Wort von ihrem bösen Maul ausgehen / so vil Stich und Stachel empfindet der jenige / so mit ihnen muß umgehen.38

Die Schlang und der Igel tragen von Natur ein grosse Feindschafft gegen einander / wann sie zusammen kommen / da streckt der Igel seine Stachel aus / und die Schlang thut ihn umwicklen / und will ihn verwürgen / je stärcker aber sie ihn drucket / je stärcker sticht er sie / und will dannoch kein Theil nachgeben /also daß bißweilen beyde todt auf dem Platz bleiben. Fast also gehet es her / wann zwey böse zanckerische Mäuler zusammen kommen / und keines dem anderen nachgeben will / da stechen und beissen sie einander so lang und hart / daß beyde Theil durch den Neid und Haß schwerlich an der Seel verwundet werden.[337]

Der Igel ist ein schlimmer unfriedlicher Gast oder Nachbar / es ist gar nicht gut neben oder bey ihm wohnen / wie es wohl erfahren hat jener Dachs / zu dessen Höhle bey anbrechender Nacht und starckem Ungewitter ein Igel kommen ist / und ihn gar schön gebetten hat / er solle ihn einlassen und ihm die Nacht-Herberg vergonnen.39 Der Dachs entschuldigte sich / mit Vermelden / es könne einmahl nicht seyn / die Höhle seye zu eng / sie haben nicht beyde Platz darinnen / und er habe gar ein stechendes Wammes an / wann er nur zuvor selbes thäte ausziehen. Der Igel aber wolte nicht nachlassen / und sagte / er brauche gar keinen grossen Platz / nur ein kleines Winckelein soll er ihm gestatten / er wolle sich ducken und schmucken / und gantz klein zusammen ziehen etc. Der Dachs liesse sich endlich überreden / und gestattete dem Igel den Eingang in seine Höhle. Dieser aber ist kaum ein wenig darinnen verwarmet / da hat er sich also gespreitzt / aufgelassen / und also unnütz gemacht / als wann er einzig und allein Herr und Meister im Hauß wäre / ja er hat den Dachsen auf allen Seiten gestupfft und gestochen / daß er unwillig worden / und sich gegen ihm beklagt / das seye ein schlechte Manier / ein schlechter Danck / er habe zwar einen starcken Balg / und seye nicht kützlig /aber seine Stich-Reden / die er ihm gebe / gehen gar zu starck ein / er könne es nicht mehr leiden / er habe ihm gantz ein anders versprochen. Ja / sagte der Igel /du must wissen / da ich noch vor deiner Höhle daraussen war / da hab ich gethan / was mich die Noth zu thun gezwungen hat / jetzund thue ich / was ich gewohnt bin / und was mir gelegen ist. Wolte nun der Dachs einen Fried und Ruhe haben / so mußte er sein eignes Hauß raumen / und dem Igel überlassen. Er traffe aber bald ein altes Weiblein an / disem erzehlte und klagte er / wie es ihm mit dem Igel ergangen seye. Ja / sagte das alte Weiblein / ich kans dir wohl glauben / es gehet mir eben auch also: dann mein grosser Bub der Pflegel hat ein Weib genommen / und hatte kein Herberg darzu / sie wußten nicht wo sie solten über Nacht seyn / darum hat mich des Sohns Weib so gebetten / ich soll sie doch zu mir ins Häußle lassen /sie wollen mir gar keine Ungelegenheit machen: und jetzund seynd sie so böß / und plagen mich / daß sie mich aus dem Hauß vertreiben etc.

Also ist es: Zwungne Demuth thut kein gut / wanns nicht von Hertzen gehet / so dauret es nicht lang. Die menschliche Anmuthungen seynd gleich den reissenden Wasser-Bächen / die man zwar wohl eine Zeit lang kan zuruck halten / aber hernach setzen sie ihren gewöhnlichen Lauff wiederum mit desto grösserer Hefftigkeit fort. Was man einmahl gewohnt hat / das laßt man so leicht nicht mehr etc. Neben dem / daß es ein alter Brauch / und der gemeine Welt-Danck ist: Gutes mit Bösem vergelten.

Quelle:
Kobolt, Willibald: Die Groß- und Kleine Welt, Natürlich-Sittlich- und Politischer Weiß zum Lust und Nutzen vorgestellt [...]. Augsburg 1738, S. 336-338.
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