Der 1. Absatz.

Von dem Hecht und Karpffen.

[398] Die anderte Abtheilung der Fischen geschieht in die jenige / die sich ausser dem Meer in den süssen Wässeren / das ist / in den Flüß- und Seen / in Bächen und Weyeren befinden. Dergleichen seynd erstlich die Hecht und Karpffen.

Der Hecht / Lucius oder Lupus, ist unter den Fischen in dem Wasser eben was der Wolff unter den irrdischen Thieren / nemlich ein grausamer und gefräßiger Rauber: Lucius est piscis, Rex atque tyrannus aquarum.1 Mit einem Wort / ein Wasser-Wolff / ein ansehnlicher starcker Fisch / mit scharpff- und spitzigen Zähnen / zu Zeiten / wann er lang nicht gefangen wird / so groß / daß er Fisch / die auch etlich Pfund schwer / verschlucken kan / sonsten aber und ins gemein ist er selbst nur etlich Pfund schwer. Er greifft alles an / und frißt es / wann ihn hungeret / was er im Wasser bekommen kan / auch die kleinere Hecht selbsten / Frösch und Krotten.

Ein Hecht kan überaus lang leben: Man schreibt von dem Kayser Friderico dem Anderen / daß er einem Hecht einen kupffernen oder ährinen Ring mit der Jahrzahl um die Ohren habe[398] anlegen lassen / und denselben in einen See bey der Reichs-Stadt Hailbronn gethan / welcher Fisch nachmahls erst Anno 1447. wieder seye gefangen worden / und also habe es sich gewissen / daß er 267. Jahr lang in selbem Wasser gestanden seye: Selbiger Ring sambt seiner Griechischen Uberschrifft ist in dem Fischbuch D. Conrads Forer fol. 175. abgebildet zusehen: Es soll die Haut des Fisches darüber gewachsen gewesen sein. Daher kommt es vielleicht / daß mann von einem Menschen / der gantz wohl auf ist / zusagen pflegt: Er sey so gesund als wie ein Hecht: Es ist auch sein Fleisch gesund / doch wann er groß ist / etwas hart zu essen.

Die Biß der Hechten seynd zimmlich schädlich /und heilen ungern: Sie verbeissen sich auch also starck / wann sie etwas erhaschen / daß man ihnen das Maul mit einem Gewalt muß aufbrechen.

Durch den Hecht können sittlich- und politischer weiß verstanden werden die ungerechte und unbarmhertzige Obrigkeiten / die Wucherer und geldgierige Beambte / die also gefräßig oder geitzig und grausam seynd / daß sie als wie der Hecht alles / was kleiner oder schwächer ist als sie / verschlucken und auffressen / das ist / frembdes Gut angreiffen und verzehren /auch ihren eignen so wohl Befreunden als Unterthanen nicht verschonen.2 Sie fressen Fisch und Krotten / Fromme und Böse / schuldig- und unschuldige /straffen und berauben sie / pressen und saugen sie aus: und wann sie einen Raub / ein ungerechtes Gut erwischt und ergriffen haben / da fassen und halten sie es so starck mit den Zähnen des Geitzes und der Ungerechtigkeit / daß mans nicht mehr kan von ihnen bringen / wann ihnen nicht mit Gewalt der Mund aufgebrochen wird / und sie von dem Todt / oder einer anderen höheren Obrigkeit gezwungen werden / das ungerecht erpreste Gut und Geld wiederum heraus zuspeyen.

Man sagt auch von dem Hecht / daß wann er einen Fisch fange / der ihm zu groß ist / und er selben auf einmahl nicht verschlucken kan / da halt er ihn so lang in seinem Maul und Rachen / biß daß der vorder Theil in seinem Magen verzehrt oder verkeuet ist /hernach schluckt er gleichwohl den übrigen Theil hinab: Wie man dann auch würcklich zu zeiten Hecht fangt und findet / denen ein Fischschwantz noch zum Maul heraus gehet. Eben also machen es die ungerechte Obrigkeiten / die Geitzhälß und Wucherer /wann sie einen ehrlichen Mann / der ihnen zu groß /das ist / zu klug ist / nicht auf einmahl ermeistern können / oder über ein Hauffen werffen / und um alles das seinige bringen / wann sie ein geistliches Gut nicht auf einmahl können verschlucken / weilen etwann der Brocken zu groß ist / und förchten / sie möchten daran versticken / da thuen sie es nach und nach / sie verschlucken zu erst die Helfte / oder den dritten Theil / sie greiffen jetzt dieses Eigenthum /diese Einkünfften des Nachbahren / oder des Unterthanen an / und wann sie solches verdäuet haben (welches bald geschehen ist / dann sie haben einen so guten Magen / ja einen Straussen Magen / der auch das Eisen / das ist / Eisen feste Gegenrecht und Beweißthümen verkochen kan) alsdann sage ich / verschlucken sie auch das übrige: und mithin vermeinen diese politische Hecht oder Raubfisch / sie seyen noch höfflich genug / daß sie nicht den gantzen Fisch auf einmahl verschluckt und aufgefressen haben.

Aber gleichwie der Hecht offtermahl seinem eignen Herren / der ihn in seinen Weyer gesetzt hat / viel Schaden thut / indem er die junge Karpfen-Bruth offt wacker zusammen raumbt (also daß wann der Herr des Weyers Karpfen auf sein Tafel haben will / offt schier keine mehr da seynd / sondern die meiste von einem grossen Hecht gefressen worden) eben also /sage ich / ist ein interessirter geldgieriger Minister oder Beambte seinem Principal in dem Gebiet oder in der Herrschafft / welcher er vorgesetzt ist / sehr schädlich / dann wann der[399] Oberherr von seinen Unterthanen die jährliche Zinß und Renten haben will / da seynd sie bißweilen von denen Geld-hungerigen Beambten schon vorher also erpreßt und ausgesogen /daß sie ihrem Oberherrn das Seinige zu geben nicht mehr fähig seynd.

Den Bersich oder Stichlingen gewinnt der Hecht nicht vil ab / dann obwohlen sie klein / so seynd sie doch mit spitzigen stechenden Flossen auf dem Rucken und an dem Schweiff wohl gewaffnet und bewahrt: selbe / wann sie der Hecht verschlucken will /strecket er selbein die Weite aus / damit der Hecht das Maul daran versteche / und ihn müsse gehen lassen: aber wann er ihn beym Kopff verwischt / da muß er halt auch daran.3 Fast eben ein solche Beschaffenheit hat es mit dem höllischen Raub-Fisch und dem Menschen: wann jener diesen verschlucken / das ist /durch die Versuchung in die Sünd stürtzen will / da solle der Mensch das Raube herfür kehren / die spitzige Stachel der Buß-Werck oder Abtödtung und Strengheit des Lebens / wie auch den stechenden Schweiff / das ist / die Gedächtnuß des Tods entgegen halten / so wird er sich leicht vor ihm verwehren. Aber auch das Haupt muß er wohl verwahren / ich will sagen die Intention, die Meinung / welches die Haupt-Sach ist in allen menschlichen Wercken / muß gut und rein seyn / sonsten / wann ihn der höllische Raub-Fisch bey dem Haupt nimmt / oder findet / daß die Meinung nicht gut ist / da thut er den Fisch / den Menschen leicht übermeisteren und verschlinden.

Der Karpff / Carpio oder Cyprinus, ist ein unseren Landen gar wohl bekannter Fisch / und also unnöthig / selben vil zu beschreiben.4 Sage nur / daß die jenige die beste seyen / die einen gelben harten Bauch / und einen kurtzen rundlechten Kopff haben / und über den Leib her schwartzlecht aussehen. Wann sie aber grosse und weiche Bäuch haben / und ein Grüblein darinn behalten / wann man mit dem Finger darauf druckt / da seynd sie nicht so gut. Ihre Art oder Eigenschafft betreffend / so wohnen sie zwar in unterschiedlichen Wässeren; dann es gibt Strom-Karpffen /See-Karpffen und Fluß-Karpffen / doch lieber im stehenden und etwas trüb- als fliessenden und gar zu klaren: Sie halten sich gern auf / wo ein lettiger Boden ist. Karpffen-Stein / so in den Karpffen gefunden werden / dienen in der Apotheck / und werden wider die Colic und den Stein præparirt. Ubrigens (anderes zu geschweigen / inmassen meine Intention nicht ist / eigenthumlich einen Fischer oder Jäger etc. abzugeben / sondern nur einige merckwürdige Eigenschafften der Thieren anzufügen / und darüber zu moralisiren / oder ein nutzliche Sitten-Lehr darauß zu ziehen) übrigens / sage ich / wird an denen Karpffen ein sonderer List oder Fürsichtigkeit verspührt; dann wann sie mercken / daß man ihnen mit dem Netz oder Fisch-Garn zusetzt / und sie fangen will / da suchen sie allerley Vortheil und Ausflüchten: bald begeben sie sich zu oberst des Wassers / schwingen sich in die Höhe / und werffen sich also über das Garn hinauß: bald hingegen sencken sie sich in die Tieffe / und graben unter dem Garn ein Loch / und schlieffen durch /oder stecken den Kopff biß in den lettigen Boden hinein / damit also das Garn / wann man es zieht / über sie her streiffe / und sie nicht ergreiffen oder mitnemmen kan etc.5

Dieses ist ein Vortheil für den Karpffen / daß er nicht so leicht gefangen wird: aber noch ein grösserer Nutzen und Vortheil wäre es für den Menschen / daß er nit dem bösen Feind vermög der Versuchung in das Garn gerathe / wann er allzeit gleich solche Ausflüchten suchte / und eintweders in die Höhe sich aufschwingte / das ist / durch das Gebett und Erhebung des Gemüths zu GOTT und den Heiligen die Zuflucht nemme: oder aber in die Tieffe sich begebe / und durch die Demuth / durch Betrachtung seines Nichts /des Tods und der Höllen in den Boden grabete etc. so wurde er leicht dem Garn entgehen.[400]

Die Karpffen halten sich gern im Letten auf: auch der Mensch soll sich gern im Leim oder Letten / von dem er herkommt / aufhalten durch die Demuth oder Niderträchtigkeit in Erwegung seines schlechten Herkommens: massen auch der Prophet David gesprochen hat: Infixus sum in limo profundi:6 Ich bin versuncken im tieffen Schleim. Aber nicht soll er im Koth oder Letten stecken durch die irrdische Begierd- und Anmuthungen / sondern vilmehr mit denselben sich herauß schwingen / und sich empor heben etc.

Quelle:
Kobolt, Willibald: Die Groß- und Kleine Welt, Natürlich-Sittlich- und Politischer Weiß zum Lust und Nutzen vorgestellt [...]. Augsburg 1738, S. 398-401.
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