Beschluß des gantzen Wercks.

Nun hab ich dich bißhero / Christlicher Leser / unter dem Geleit GOttes / und der Wahrheit / vermittelst meiner einfältigen / doch aufrichtigen Feder / zimlicher massen in dem gantzen weitschichtigen Reich der Natur / das ist / in der grossen und kleinen Welt herum geführt / und viel merckwürdige Ding / die sich darinn befinden / gezeigt. Wir seynd erstlich durchgangen das obere Sternen-Hauß / oder die gestirnnte Himmels-Felder / und haben allda die grosse Welt-Liechter die Sonn / den Mond und die Sternen besichtiget: wie auch unterschidliche Metheora, oder Lufft-Gesichter / und Impressiones die in der Höhe gezeigt werden.1

Wir haben betrachtet die vier grosse Haupt-Theil Mundi sublunaris, das ist / die vier Elementen samt dero Situation und Beschaffenheit etc. Wir haben auch insonderheit durchsucht die inneriste Heimlichkeiten oder gleichsam das Ingeweid der Erden / und gesehen / was diese unser allgemeine Mutter Rahres /und Kostbares in ihren Schatz-Kämmeren verborgen habe / nemmlichen die glantzende Mineralia, der Metalla, und schimmerende Edelgestein etc.

Von dem Macrocosmo, oder aus der grossen Welt haben wir uns begeben ad Microcosmum, oder zu der kleinen Welt / das ist / dem Menschen / und wahrgenommen / was dieser für ein wunderliche Harmoni und Gleichheit / oder Ubereinstimmung mit dem grossen Welt-Gebäu habe / und folgends gar recht und wohl die kleine Welt benahmset werde: Dann das Haupt des Menschen ist einiger massen gestaltet als wie der Himmel / in welchem die siben Planeten uns vorgestellet werden / durch die siben Vertieffungen /oder Oeffnungen / die sich in dem Haupt befinden /nemlichen zwey der Augen / zwey der Ohren / zwey der Nasen / und eine des Munds.2 Der Magen / so die Speiß verkochet / bedeutet die Erden / die Lungel /die Respiration, oder das Schnauffen beförderet den Lufft / und die Hitz des Hertzens das Feuer.

In der grossen Welt ist der Primus Motor, und Rector universi, GOtt / als ein Urheber der Natur: in dem Menschlichen Leib aber ist der Regent, und das Ober-Haupt die Seel. Ferners die wachsende Krafft ist in dem Lebens-Geist / die sinnliche oder empfindliche in dem Leib selbsten / und die verständliche Krafft in der Seel.

Wiederum die Bilosische Feuchtigkeit gleichet dem Feuer / die Phlegmatische dem Wasser / die Blut-reiche dem Lufft / und die melancholische der Erden.

Die Blut-Aderen seynd gleichsam die Flüß / und Wasser-ström / in dieser kleinen Welt / die Blasen der Ocean, das Fleisch aber die Erden: die Gebein seynd die Berg und Felsen / das Haar ist das Graß / die Kranckheiten seynd die Meteora, die schnelle Gedancken seynd die Wind / und die hefftige Passiones, oder Gemüths-Regungen seynd die Ungewitter.

Weiters die sieben Irrstern / oder Planeten können also eingetheilt werden / daß durch das Hertz die Sonn / durch das Hirn der Mond / durch die Leber der Jupiter / durch das Miltz der Saturnus / durch die Gall der Mars / durch die Nieren die Venus / und durch die Lungel der Mercurius verstanden wird.

Gleichwie auch in der grossen Welt die Dünnst /und feuchte Dämpff aus der Erden / und aus dem Meer übersich steigen / sich in ein Gewölck zusammen ziehen / und dann widerum in einen Regen solviren / und Tropffen-weiß herab fallen / also steigen die Dämpff aus dem Magen des Menschen über sich in das Haupt / da werden Haupt-Flüß / und Catharren daraus / die endlich widerum abwerts sincken.

Das Hirn des Menschen hat ein Gleichheit mit dem Mond / weil es gleich dem Mond zu seiner Zeit zu-und abnimmt: das Wachen bey einem gesunden Menschen ist gleichsam der[674] Tag / das Schlaffen aber die Nacht / die Vergnügung und Zufriedenheit / ist das schöne heitere Wetter / die Traurigkeit aber die gewülckige finstere Zeit: endlichen gleichwie die Sonn die gantze grosse Welt erleuchtet / und überschauet /also erleuchtet / und beschauet das menschliche Aug die kleine Welt / oder den Leib des Menschen.

Diese kleine Welt / das ist den Menschlichen Cörper haben wir in dem anderten Theil dieses gegenwärtigen Buchs anatamirt / oder stuckweiß zergliederet /und dessen wunderbarliche Structur oder Beschaffenheit betrachtet / nicht nur die äusserliche fünff Sinn des Menschen / sonder auch fast alle andere innerliche und äusserliche Glieder durchforschet.

In dem dritten Theil seynd wir aus der kleinen Welt wiederum in die große zuruck gekehret / und von dem Menschen auf die Thier kommen (als welche sich in dem anderten Grad des empfindlichen Lebens befinden.) Da wir erstlich die Führnemmste Vier-Füßige so wohl wilde / als zahme Thier / und deroselben gar unterschiedliche Anmuth / und Eigenschafften betrachtet. Ferners seynd wir auch auf den Wässeren umgeschweifft einige Meer- und andere Fisch beobachtet. Von dannen aber uns in die Lufft erhoben / und vielerley Vögel samt dero wunderlichen Eigenschafften in consideration gezogen.

In dem vierten Theil endlich seynd wir auf den untersten Grad des wachsenden Lebens herab gestiegen /in dem selben die Pflantzen und Gewächs / die Bäum / Kräuter / und Blumen untersucht / mithin alle species, oder Gattungen der fürnemmsten Geschöpffen /und also gleichsam die gantze Welt durch gangen.

Aber wohin / oder zu was Ende soll dieses alles geschehen seyn? Antwort: zu keinem anderen / als daß wir aus der Menge / Unterschied / und Fürtrefflichkeit der Geschöpffen den Erschöpffer erkennen lernen /dessen Almacht / Güte und Freygebigkeit lieben preißen und ehren: die Geschöpff sollen uns dienen für eine Leiter / auf welcher wir mit dem Gemüth zu GOTT / und Himmlischen Dingen auf steigen.3 Ut ex his, quæ animus novit, surgat ad incognita, quæ non novit:4 sagt der grosse Heil. Gregorius: damit das Gemüth durch die Erkantnuß der jrdischen Dingen auf steige zur Erkantnuß der Himmlischen Dingen.

Auf dieser Leiter / das ist durch die Erkantnuß und Betrachtung der Creaturen / seynd unzahlbare Heilige zu GOtt / und zu einer grossen Vollkommenheit aufgestigen / indeme ihnen die gantze Welt für ein großes Buch / und alle Geschöpff für lauter Buch-Staben gedient haben / in welchem sie die Vollkommenheiten GOTT es ersehen / und gleichsam deutlich gelesen haben. Alle Creaturen waren ihnen so viel / als lauter Prediger / oder laut-ruffende Stimmen / die ihnen das Lob GOTTES / als ihres Schöpffers verkündigten: gleichwie ein kunstreiches Gemähl / oder Statuen die Geschicklichkeit des Meisters so es verfertiget hat /den Anschauenden verkündiget und anrühmet.

Viel aus den Heiligen benantlich der Heil. Bischoff Anselmus, der H. Fanciscus Seraphicus etc. und viel andere mehr hatten die höchst löbliche Gewonheit /daß sie aus einem jeden Ding / was sie gehört und gesehen / Gelegenheit genommen haben / das Hertz und Gemüth zu erheben / und von den zeitlichen zu den ewigen Dingen zu wenden. Als zum Exempel wann sie gesehen haben ein Lämmlein auf die Schlacht-Banck führen / da haben sie sich gleich des unbefleckten Lamm GOttes erinnert / welches für uns ist geschlachtet / und geopfferet worden: wann sie gesehen daß ein flüchtiges Häßlein / oder ein Wild-Stuck von dem Jäger / und Hunden verfolget wurde / haben sie betrachtet / wie daß die höllische Feind so begierig die Menschliche Seel verfolgen: wann sie ein Feuer /ein Baum-Frucht[675] / ein Blumen etc. gesehen haben / da seynd sie ingedenck gewesen / des Feeg-Feuers / oder höllischen Feuers / der verbottnen Frucht im Paradeis / und der Zergänglichkeit zeitlicher Dingen: wann sie hingegen eine schöne Music / oder die Vögelein singen gehört / da haben sie an das Himmlische Lobgesang der Heil. Englen gedencket etc. und also von vielen anderen zu reden.

Diesem zu Folg hab ich mich in gegenwärtigen Schrifften nach der Maaß meiner wenigen Kräfften bemühet / auch von den natürlichen Eigenschafften /so mancherley Geschöpffen Anlaß zu nemmen ein Geistliches morale, oder Sitten-Lehr zu machen / und durch mehr als tausend Gleichnussen dem Christlichen Leser zur Liebe / und Hochschätzung GOttes /der Tugend und Himmlischer Dingen / wie auch zur Flucht / und Abscheuhung der Laster etc. anzuweisen: auf daß also der Wunsch / und Begierd meines Heil. Vatters Benedicti erfüllet werde: die in dem bestehet. Ut in omnibus glorificetur DEus, das in allen Sachen GOtt gepriesen werde. Zu eben dem Ziel und End sollen wir alle Geschöpff / von welchen wir bißhero gehandlet haben zu dem Lob GOttes einladen / nachdem preiß-würdigen Exempel der drey Knaben in dem Babylonischen Feuer-Ofen / und mit eben dero Worten mit welchen wir es angefangen / auch endigen / sprechend: Benedicite omnia opera Domini Domino, laudate & superexaltate eum in sæcula.5 Alle Werck des HERRN / lobet den HErrn / lobet und erhöhet ihn über alle Ding / zu allen Zeiten ohne


[676] ENDE!

Fußnoten

1 Abtheilung der groß- und kleinen Welt.


2 Vergleichung des Menschen mit der Welt.


3 Die Erkantnuß der Geschöpffrn soll uns zu dem Erschaffer verleiten.


4 Horn. 12. in Evang.


5 Dan. c. 3. v. 57.


Quelle:
Kobolt, Willibald: Die Groß- und Kleine Welt, Natürlich-Sittlich- und Politischer Weiß zum Lust und Nutzen vorgestellt [...]. Augsburg 1738.
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