Erste Scene.


[173] Ein Zimmer. Im Hintergrund eine Glasthür, die in den Garten führt. Rechts und links Seitenthüren.

Frau von Berg und Malchen mit weiblicher Arbeit beschäftigt. Baron Kreutz tritt herein.


BARON. Freut euch, Kinder! heute kommt er.

FRAU VON BERG. Wer? mein Karl?

MALCHEN blutroth. Der Vetter?

BARON ihr nachspottend. Ja, ja, der Vetter. Werde du nur roth bis über beide Ohren.

FRAU VON BERG. Woher weißt du, Bruder –?

BARON. Je nun, er ist gestern Mittag schon in der Stadt gewesen.

FRAU VON BERG. Nur eine Stunde von hier? und noch nicht selbst hier?

BARON. Seinen Franz hat er vorausgeschickt. Es soll da in der Stadt ein tiefgelehrter Mann wohnen, den hat er nur noch besuchen wollen.

FRAU VON BERG. Wie? drei Jahre war er abwesend von Mutter und Braut? Kaum noch ein Spazirgang trennt ihn von beiden? und er findet noch Muße Gelehrte zu besuchen?

BARON. Nun, nun, Schwester, er muß doch das Handwerk grüßen.[173]

FRAU VON BERG. Ei, ei, das gefällt mir nicht.

MALCHEN. Mir auch nicht.

BARON. Was hast du darein zu reden? Eitelkeit, nich weiter. Ein Bursche wie Karl, der alle vier Fakultäten im Kopfe hat –

FRAU VON BERG. Soll d'rum doch die Mutter im Herz behalten.

BARON. Das wird er auch. Die Wissenschaften veredeln den Menschen, machen ihn – wie nennen se es doch gleich? – human. Das ist ein neues Modewort.

MALCHEN. Wenn wir nur über den neuen Worten nicht die alten Gefühle verlieren.

BARON. Naseweiß! Du meinst wohl, Karl sollte noch immer den Schäfer aus Geßners Idyllen spielen? – Der tändelt nicht mehr, der ist jetzt transcendental!

MALCHEN. Was heißt denn das?

BARON. Das weiß ich selbst nicht. Aber es ist was Großes, was Schönes.

FRAU VON BERG. Ich zitt're, ihn wieder zu seh'n!

BARON. Ich auch, aber vor Freuden.

FRAU VON BERG. Mein letztes Vermögen hab' ich an ihn gewandt, um seinen viel versprechenden Geist zu bilden –

BARON. Das war brav von dir.

FRAU VON BERG. Eine Stütze im Alter hofft' ich mir an ihm zu ziehen –

BARON. Das soll er auch werden. Mein Schwiegersohn und Erbe oben d'rein.

FRAU VON BERG. Wenn wir ihn nicht so fänden, wie unsere hoffende Liebe ihn malt –

BARON. Possen.[174]

FRAU VON BERG. Seine Briefe, Bruder – gesteh' es mir – sie sind hochtönend, aber kalt.

BARON. Das kommt dir nur so vor, weil wir die neue Sprache nicht versteh'n.

FRAU VON BERG. Mit mir sollte er, wie vormals, vom Herzen zum Herzen reden.

MALCHEN. Mit mir auch.

BARON. Kinder, andere Zeiten, andere Sitten. Jetzt herrscht die Vernunft! die kritische Vernunft!

MALCHEN. Allen Respekt vor der Vernunft; aber wenn sie sich nicht mit dem Herzen vermählt, so kommt sie mir vor, wie unser langer dürrer Nachbar, der Hagestolz.

BARON. Schweig', und störe mir meine Freude nicht. O, ich habe euch noch mehr zu sagen. Es ist heute ein wichtiger Tag für Karln und für uns Allle. Der Fürst jagt in meinem Forste.

MALCHEN. Das find' ich nur wichtig für Jhre Hasen.

BARON. Er wird aber ein Frühstück bei uns einnehmen. Wenn nur Karl bald käme, daß ich ihn dem Fürsten sogleich vorstellen könnte. Was gilt's, der macht ihn auf's wenigste zum Geheimde-Kabinetsrath.

FRAU VON BERG lächelnd. Du bau'st schöne Luftschlösser.

BARON. Was Luftschlösser! Karl hat bei Fichte die Wissenschaftslehre, bei Schlegel die Ästhetik, bei Schiller die Historie gehört; Sapperment, Kinder! er muß ein ganzer Kerl sein.

FRAU VON BERG. Wenn er nur auch seine ganze Unverdorbenheit wieder mit zurückbringt.

BARON. Hör' einmal auf, Schwester, mit deinem ewigen, wenn nur und wenn nur.[175]

FRAU VON BERG. Ach, Bruder, du hast keine Söhne; du weißt nicht, wie einer Mutter zu Muthe ist, die ihren Liebling hinaus in die weite Welt schickt, ohne mit sorglicher Mutterliebe in der Ferne über seine Schritte wachen zu dürfen; die ein gesundes, herziges Naturkind aus ihren Armen ließ, und vielleicht einen physisch und moralisch verbildeten Krüppel zurück erhält.

BARON. Aber ein solches vielleicht ist hier gar nicht anwendbar.

FRAU VON BERG. Das bitt' ich euch, wenn er kommt, laßt mich nur gleich mit ihm allein, daß ich nur erst sein Herz erforsche, mit seinem Wissen mag es dann bestellt sein wie es wolle.

BARON. Schon gut, Schwester. Komm, wir wollen die Buchenallee hinab ihm entgegen wandeln; er kann nicht lange mehr bleiben.

FRAU VON BERG. Gern, Bruder. Ich hoffe, die alte Mutter werde nicht vergebens geh'n, weil er etwa mit den Gelehrten noch zu sprechen hat.

BARON. Du, Malchen, sorge indessen für das Frühstück. Beide ab durch eine Seitenthür.


Quelle:
August von Kotzebue: Theater. Leipzig und Wien 1840, S. 173-176.
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