Achte Scene.


[189] Malchen. Karl.


KARL eilt ihr entgegen, und reißt sie wüthend an seine Brust. Ha! meine Amalie!

MALCHEN. Gemach! Gemach, lieber Vetter! Sie erdrücken mich.

KARL. Es liegt in der Natur des Mannes ein gewisser tölpelhafter Enthusiasmus, der leicht bis zur Grobheit göttlich ist38. Er will sie abermals umarmen.

MALCHEN verschämt und sich sträubend. Nicht so ungestüm, lieber Karl.

KARL betrachtet sie lächelnd. Es ist doch wirklich eine komische Situation, ein unschuldiges Mädchen zusein39.[189]

MALCHEN erstaunt. Wie? eine komische Situation?

KARL. Allerdings, aber die Frauen müssen wohl prüde bleiben, so lange die Männer sentimental, dumm und schlecht genug sind, ewige Unschuld und Mangel an Bildung von ihnen zu fordern40.

MALCHEN. Sie fordern also keine Unschuld von mir?

KARL. Sie sind ein blühendes Mädchen, und folglich das reizendste Symbol vom reinen guten Willen41.

MALCHEN. Ein sonderbares Compliment!

KARL. Wir werden uns heirathen.

MALCHEN. Vielleicht.

KARL. Zwar fehlt es den Frauen an Sinn für die Kunst, an Anlage zur Wissenschaft und an Abstraction42, zwar ist muthwillige Bosheit mit naiver Kälte und lachender Gefühllosigkeit eine angeborne Kunst Ihres Geschlechts43.

MALCHEN. Eine schmeichelhafte Schilderung!

KARL. Dennoch bin ich entschlossen den Versuch zu wagen.

MALCHEN. Einen Versuch? Allerliebst.

KARL. Fast alle Ehen sind nur Konkubinate, provisorische Versuche zu einer wirklichen Ehe44.[190]

MALCHEN. Herr Vetter, ich hoffe, daß ich Sie nicht verstehe.

KARL. Wir könnten auch allenfalls den Wunsch in's Große treiben. Zum Exempel eine Ehe à quatre.

MALCHEN fast stumm vor Erstaunen. Wie?

KARL. Ja, es läßt sich nicht abseh'n, was man gegen eine Ehe à quatre gründliches einwenden könnte45.

MALCHEN. Sie wären wirklich im Stande Ihre Geliebte zu theilen?

KARL. Ich werde mich bemühen Sie so zu besitzen, als ob ich Sie nicht besäße.

MALCHEN. Eine angenehme Aussicht!

KARL. Das ist die Pflicht des wahren Cynikers46.

MALCHEN mit ausbrechender Ungeduld. Herr Vetter, Sie werden mich wahrscheinlich gar nicht besitzen.

KARL. Wie, Amalie? Haben Sie die schönen Zeiten schon vergessen, wo ein Chaos von Harmonien in uns war?47

MALCHEN. Jetzt scheint ein Chaos von Dissonanzen daraus geworden zu sein.

KARL. Was mißfällt Ihnen an mir?

MALCHEN. Ihr gänzlicher Mangel an Delikatesse –

KARL. Niedliche Gemeinheit und gebildete Unart heißt in der Sprache des feinen Umgangs Delikatesse48.[191]

MALCHEN. Ihre Immoralität –

KARL. Warum sollt es auch nicht unmoralische Menschen geben dürfen, so gut wie unphilosophische und unpoetische49.

MALCHEN. Sie proponiren mir eine Ehe à quatre wie eine Partie whist.

KARL. Nun ja.

MALCHEN. Fühlen Sie denn nicht einmal was die Welt dazu sagen würde?

KARL. Die Menge nicht zu achten, ist sittlich50.

MALCHEN. Eine schöne Sittlichkeit.

KARL. Die öffentliche Meinung ist ein Unthier, das man muthig auf den Rücken werfen muß, und dann ist es nur ein gemeiner Frosch51.

MALCHEN. Ich fürchte mich auch vor Fröschen; und kurz, Herr Vetter, wir passen nicht mehr für einander.

KARL. Was sagen Sie? Wir, die wir uns einst umarmten mit eben so viel Ausgelassenheit als Religion?52

MALCHEN. Wahrlich, Ihre Sprache ist fast noch sonderbarer als Ihre Meinungen.

KARL. Die Sprache der Liebe sei frei und kühn nach alter klassischer Sitte53.

MALCHEN. Aber nicht leichtfertig.[192]

KARL. Warum nicht? Leichtfertige Gespräche müssen ruchlos genug sein, sie sind das Salz an die Speisen. Es frägt sich gar nicht, warum man sie sagen soll, sondern nur wie man sie sagen soll, denn lassen kann und darf man es doch nicht54.

MALCHEN. Wahrlich, es wäre besser, man ließe es.

KARL. Aber, es wäre ja grob, mit einem reizenden Mädchen so zu reden, als ob sie ein geschlechtloses Amphibion wäre55.

MALCHEN. Ersparen Sie sich diese Gattung von Höflichkeit.

KARL. Es ist Pflicht und Schuldigkeit immer auf das anzuspielen, was sie ist und sein wird56.

MALCHEN. Mein Gott, ich entlasse Sie der Pflicht wie der Schuldigkeit.

KARL. Geben Sie doch nur Acht auf die Kinder. Ein kleines Mädchen findet nicht selten ein unbeschreibliches Vergnügen darin, mit den Beinchen in die Höhe zu gesticuliren, unbekümmert um ihren Rock, und um das Urtheil der Welt. Wenn das ein kleines Mädchen thut, was darf ich nicht thun, da ich doch bei Gott ein Mann bin, und nicht zarter zu sein brauche als das zarteste weibliche Wesen?57

MALCHEN. Vortrefflich! Wenn es noch länger dauert,[193] so fängt er an zu gesticuliren. Geh'n Sie, mein Herr, Sie werden frech.

KARL. Die Bildung der Frechheit ist groß und edel58.

MALCHEN. Ich habe gnug. Sind das die Wunderdinge, die wir erwarteten? – Welche Täuschung! Guter Hans! Wie liebenswürdig erscheint gegen dies hohe kritische Aufklärung dein simples ehrliches Gemüth!

KARL. Gemüth ist die Poesie der erhabenen Vernunft59.

MALCHEN. Wieder eine hohe Albernheit. Ich werde dem Menschen nicht mehr antworten.


Quelle:
August von Kotzebue: Theater. Leipzig und Wien 1840, S. 189-194.
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