Zwölfter Auftritt


[152] Gurli – Die Vorigen – Mistriss Smith.


Inwendig.


GURLI gähnend. Vater: Gurli wird die Zeit lang.

KABERDAR. Hab ich dir nicht Wege genug angedeutet, der langen Weile zu entfliehen? Nähen – Stricken – Lesen –

GURLI. Ja Vater das tut Gurli auch; aber Gurli ist so ungeschickt, sie verdirbt alles. Wenn ich nähe, so reißt mir bald der Zwirn, bald zerbricht mir die Nähnadel; wenn ich stricke, so laß ich die Maschen fallen, und wenn ich lese, so schlaf ich ein.

KABERDAR. Nun so töte deine Zeit mit Plaudern.

GURLI. Plaudern? mit wem soll Gurli plaudern? der Vater ist selten zu Hause; Musaffery ist stumm; die alte garstige Mutter dort zankt immer; Samuel ist ein Narr; und Liddy –

KABERDAR hastig einfallend. Nun Liddy? –

GURLI. Ach ich liebe Liddy wie meine Schwester. Sie ist so gut, so herzensgut – Sie ist viel besser als Gurli. Aber sie darf nicht viel mit Gurli reden.

KABERDAR. Warum nicht?

GURLI. Die garstige Mutter hat es ihr verboten. Aber wenn auch Gurli den ganzen Tag bei Liddy sein könnte – es fehlt Gurli doch noch etwas.

KABERDAR. Was denn?

GURLI. Das weiß Gurli selbst nicht.

KABERDAR. So beschreib' es zum wenigsten.

GURLI. Vater, das läßt sich nicht beschreiben. Zuweilen hab' ich gedacht, es fehle mir ein Papagoy oder eine Katze.

KABERDAR. Du hast ja beides.

GURLI. Freilich hat Gurli beides; aber da wandelt mich oft[152] eine solche Sehnsucht an, da nehm' ich bald die Katze und bald den Papagoy, und küsse sie und drücke sie an meine Brust, und habe sie so lieb – Doch ist mirs immer als fehle noch etwas. Der Vater wird wohl noch eine Katze für Gurli kaufen müssen.

KABERDAR lächelnd. Freilich.

GURLI. Dann ging ich gestern spazieren in dem kleinen Walde den die Leute hier Park nennen, da sang ein Vogel so schön, so rührend – Kannst du dir einbilden Vater! Gurli mußte weinen. Es war mir so ängstlich, so beklommen; es stieg mir so hier, hier, herauf; es war mir so warm, ich sah mich immer nach etwas um, und endlich – endlich mußt ich eine Rose abbrechen, und küssen, und tausendmal küssen, und mit meinen Tränen benetzen. Das war doch drollicht! nicht wahr Vater?

KABERDAR. Jawohl!

GURLI. Der Vater wird wohl einen solchen Vogel für Gurli kaufen müssen.

KABERDAR. Ei freilich.

GURLI. Ach Gurli weiß selbst nicht recht was ihr fehlt.

KABERDAR. Sei ruhig! der Vater hat mehr Erfahrung! der merkt schon, wo das hinaus will. Jetzt von etwas anderm! hast du dem Vorschlage nachgedacht, welchen ich dir neulich tat?

GURLI. Du weißt ja wohl, Vater, Gurli denkt nicht viel nach. Aber wenn der Vater meint, daß es gut sei, so will Gurli wohl heiraten.

KABERDAR. Ja der Vater meint, es sei notwendig, daß Gurli sich je eher je lieber einen Mann aussuche. Ist dir noch keiner aufgestoßen, der dir besonders gefiele?

GURLI. Nein. Da ist der Samuel; der schwatzt und plappert von seiner Liebe; doch seine Liebe gefällt mir nicht. Aber warum muß es denn eben eine Mannsperson sein? ich will seine Schwester Liddy heiraten.

KABERDAR erstaunt. Wen? Seine Schwester?

GURLI. Ja.

KABERDAR. Liddy?

GURLI. Ja, ja.

KABERDAR. Die ist ja ein Frauenzimmer.

GURLI. Nun was schadet das?

KABERDAR lächelnd. Nein Gurli das geht nicht an, das erlaubt Brahma nicht. Du bist ein Mädchen, und mußt einen[153] Mann nehmen. Liddy ist auch ein Mädchen und muß auch einen Mann nehmen.

GURLI. Nun so will ich Musaffery heiraten.

MUSAFFERY welcher bisher in tiefen Betrachtungen versenkt gestanden, welche sich auf sein voriges Gespräch bezogen, kömmt zu sich selbst, und antwortet etwas verlegen, aber mit seiner gewöhnlichen Trockenheit. Mich? – Schöne Gurli! das geht nicht an!

GURLI komisch zürnend. Wieder nicht? Warum denn nicht? du bist ja ein Mann?

MUSAFFERY. Das wohl.

GURLI. Nun?

MUSAFFERY. Ich bin ein alter Mann.

GURLI. Was tut das?

MUSAFFERY. Schöne Gurli, ein alter Mann muß kein junges Mädchen heiraten.

GURLI. Warum nicht?

MUSAFFERY. Weil das unbarmherzigerweise eine Rosenknospe in Schnee vergraben heißt.

MISTRISS SMITH inwendig. Du denkst nicht ein bißchen nobel. Weil du selbst Heringskrämer gewesen bist, so möchtest du auch gerne deine Kinder dazu machen.

KABERDAR. Gott bewahre! der Drache kommt näher. Ich bin so gern in diesem Saale Aufs Fenster zeigend. ich liebe die Aussicht ins offne Meer, und immer jagt mich der böse Geist in mein einsames Zimmer zurück. Kommt!

GURLI. Vater, Gurli bleibt noch hier, Gurli will über die Alte lachen.

KABERDAR. Meinetwegen! aber sie ist neugierig. Daß du ihr nur das Geheimnis unsers Standes nicht verrätst! ich mag weder ein Gegenstand der Neubegier, noch des Mitleidens werden. Er geht mit Musaffery in sein Zimmer.

GURLI. Ach nein! Gurli hört die Alte nur gern reden, sie spricht so viel dummes Zeug.


Quelle:
August von Kotzebue: Schauspiele. Frankfurt a.M. 1972, S. 152-154.
Lizenz:
Kategorien:

Buchempfehlung

Ebner-Eschenbach, Marie von

Unsühnbar

Unsühnbar

Der 1890 erschienene Roman erzählt die Geschichte der Maria Wolfsberg, deren Vater sie nötigt, einen anderen Mann als den, den sie liebt, zu heiraten. Liebe, Schuld und Wahrheit in Wien gegen Ende des 19. Jahrhunderts.

140 Seiten, 7.80 Euro

Im Buch blättern
Ansehen bei Amazon

Buchempfehlung

Geschichten aus dem Sturm und Drang II. Sechs weitere Erzählungen

Geschichten aus dem Sturm und Drang II. Sechs weitere Erzählungen

Zwischen 1765 und 1785 geht ein Ruck durch die deutsche Literatur. Sehr junge Autoren lehnen sich auf gegen den belehrenden Charakter der - die damalige Geisteskultur beherrschenden - Aufklärung. Mit Fantasie und Gemütskraft stürmen und drängen sie gegen die Moralvorstellungen des Feudalsystems, setzen Gefühl vor Verstand und fordern die Selbstständigkeit des Originalgenies. Für den zweiten Band hat Michael Holzinger sechs weitere bewegende Erzählungen des Sturm und Drang ausgewählt.

424 Seiten, 19.80 Euro

Ansehen bei Amazon