Vierter Auftritt


[136] Mistriss Smith – Die Vorigen.


MISTRISS SMITH. Sehr nobel! wahrhaftig! wenn des Mittags die Tafel serviert ist, dann schwärmen sie alle herbei wie die Wespen, aber wenn ich des Morgens ein Gebetbuch in die Hand nehme, um mich mit meinem Schöpfer zu entretenieren, dann läuft der eine hier-, der andere dorthin.

SAMUEL. Amtsgeschäfte, gnädige Mama.

MISTRISS SMITH zu Liddy. Und du?

LIDDY. Ich habe dem Vater die Zeitungen vorgelesen.

MISTRISS SMITH. Doch hab' ich euch schon lange miteinander schwatzen hören. Was betraf denn der Diskurs?

LIDDY. Ich scherzte mit meinem Bruder.

SAMUEL. Und ich sprach sehr ernsthaft mit meiner Schwester.

MISTRISS SMITH. Wovon aber?

LIDDY. Von dem wilden jungen Mädchen, das seit vier Monaten in unserm Hause wohnt.

SAMUEL. Von dem wilden jungen Burschen, der seit Jahr und Tag mit Bruder Robert in der Welt herumschwärmt.

LIDDY. Sie hat ihn trotz seiner Vorsicht überrumpelt.

SAMUEL. Er hat sie trotz ihres Leichtsinns gefesselt.

MISTRISS SMITH. Ihr scheint beide recht zu haben, denn ihr habt beide den Verstand verloren.

SAMUEL. Ich? ich bin mit dem meinigen sehr zufrieden.

MISTRISS SMITH. Das beweist eben daß du nicht viel hast. Der Mensch ist mit nichts in der Welt zufrieden, ausgenommen mit seinem Verstande, je weniger er hat, desto zufriedener. Sans badinage, ich will nicht hoffen, daß eins von euch kapabel sei, im Ernst an dergleichen zu denken: denn wenn ihr gleich von väterlicher Seite nur bürgerlicher Herkunft seid, so wallt doch ein altes adliches Blut in den Adern eurer Mutter. Sie sieht Samuel und Liddy wechselweise an, als ob sie eine Antwort erwarte. Beide schweigen; Liddy näht und Samuel spielt mit seinem Stockbande. Mistriss[136] Smith ihre Stimme erhebend, und die Arme in die Seite stemmend. Wie? was? point de réponse? ich sollte die Schande erleben, meinen ältesten Sohn Samuel mit der Tochter eines Landstreichers verheiratet zu sehen?

SAMUEL. Vorsichtig, gnädige Mama! vorsichtig! unser fremder Mietsmann kann jedes Wort hören.

MISTRISS SMITH zu Liddy. Und du könntest so gottes- und standesvergessen sein, dein Herz an einen Heiden zu hängen, der noch dazu ein bürgerlicher ist?

LIDDY bittend. Sachte liebste Mutter, der Vater schläft!

MISTRISS SMITH. Seht doch! ich glaube sie untersteht sich mir Stillschweigen zu gebieten. Sich nach dem Alten wendend und noch starker schreiend. Er soll nicht schlafen! er soll wachen! Er soll die Torheiten seiner Kinder verhindern helfen. He da! Sir John!

SIR JOHN aus dem Schlaf auffahrend. Auweh!

MISTRISS SMITH. Nun was gibts?

SIR JOHN. Mein Bein.

MISTRISS SMITH. Vergessen Sie Ihr Bein: Hier ist von ganz andern Dingen die Rede die Sie weit näher angehn.

SIR JOHN. Weit näher? Ich möchte doch wissen was mich näher anginge, als mein eignes Bein!

MISTRISS SMITH. Nun wahrhaftig! Ich dächte doch es gäbe der Dinge mancherlei in der Welt, die weit mehr Interesse für Sie haben müssen, als Ihr bewickelter Fuß?

SIR JOHN ihr recht gebend. So? das ist wohl möglich!

MISTRISS SMITH. Ein Bein ist doch immer nur ein Bein; und ein podagrisches Bein ist gar nichts wert.

SIR JOHN. Sehr wahr.

MISTRISS SMITH. Man sollte ganz vergessen daß man eins hat.

SIR JOHN. Würklich das sollte man. – Auweh! – Auweh!

MISTRISS SMITH. Hätten Sie ein wenig Lektüre, so würden Sie wissen, das die alten Stoiker den Schmerz für kein Übel hielten.

SIR JOHN. Den Teufel! die haben das Podagra nicht gehabt!

MISTRISS SMITH. Mein guter Sir John! Sie können es gar nicht verantworten, daß Sie so wenig Lebensart besitzen. Sie hatten eine Gemahlin von Stande, es fehlte Ihnen nicht an Gelegenheit zu lernen. Wie oft hab' ich Ihnen nicht schon vorgepredigt, und wie oft soll ich's Ihnen noch vorpredigen, daß einen Gesunden nichts mehr ennuyiert, als wenn ein Kranker ewig von seiner Maladie schwatzt.[137]

SIR JOHN. Nun so sprechen Sie von etwas andern! In Gottes Namen! –

MISTRISS SMITH. Das wollt' ich schon lange, aber Sie lassen mich ja nicht zum Worte kommen. Hier steht Ihr Sohn, Sir Samuel Smith, und hier Ihre Tochter, Miß Liddy Smith.

SIR JOHN. Gottlob! das seh ich.

MISTRISS SMITH. Sie sind beide toll geworden.

SIR JOHN. Beide?

MISTRISS SMITH. Der allerliebste Herr Sohn hat Lust eine verlaufne indianische Dirne zu heiraten.

SAMUEL. Wer sagt das? Ist denn schon vom Heiraten die Rede? Zwar wenn man mich fragt: ob das Mädchen mir gefällt? Dann ist die Antwort: ja; aber ehe ich wirklich zu einer Verbindung schreite, o da sind noch hunderttausend Umstände zu überlegen, Millionen Hindernisse aus dem Wege zu räumen, unendlich viel Kleinigkeiten zu berichtigen.

SIR JOHN ironisch. Ja, mein Schatz, dafür steh ich dir: Samuel wird sich nicht übereilen.

SAMUEL. Nein wahrhaftig nicht!

SIR JOHN. Tut er es aber, so macht er den ersten gescheuten Streich in seinem Leben. Das Mädchen ist allerliebst, ihr Stumpfnäschen ist entzückend, ihre naive Laune hinreissend.

MISTRISS SMITH. Wiederum sehr nobel! Wer Sie so reden hört, sollte denken, Ihr ganzer Verstand sei in Ihren geschwollenen Fuß herabgesunken. Die ganze Litanei, welche Sie mir da vorgebetet haben, reicht kaum hin einen Narren glücklich zu machen. Die wichtigsten Punkte, die Achsen, um welche sich die ganze moralische Welt dreht, haben der Herr Gemahl vergessen.

SIR JOHN. Und die sind?

MISTRISS SMITH. Geburt und Geld.

SAMUEL. Sehr wahr!

SIR JOHN. Was das Geld anlangt, hat sie leider recht.

SAMUEL. Ganz recht.

SIR JOHN. Indes hoffe ich, die junge Indianerin werde über diesen Punkt Ihre Forderungen befriedigen können. Der Vater hält hinter dem Berge, aber es scheint, er habe sein Schäfchen im trockenen. Er lebt gut, er ist niemanden schuldig, er bezahlt uns seine wöchentliche Miete auf die Stunde. –

LIDDY. Er tut auch den Armen viel Gutes!

MISTRISS SMITH. Mon Dieu! Bleiben Sie mir mit Ihren ekelhaften[138] Rechnungen vom Leibe! Immer hörts man Ihnen doch an, daß Sie einst Kaufmann waren. Wer hat es denn je zu den Zeichen des Wohlstandes gerechnet wenn einer ordentlich bezahlt? die reichsten Leute, mein Herr, sind der ganzen Welt schuldig. Doch passe pour cela! wir wollen es gelten lassen, aber der wichtigste Punkt bleibt doch unentschieden. Oder vielleicht lassen Sie die Ordnung im Bezahlen auch wohl gar für einen Beweis vornehmer Herkunft gelten?

SIR JOHN. Nein wahrhaftig nicht! aber ich halte diesen Punkt für überflüssig. Das Mädchen ist geboren, und zwar Hochwohlgeboren; darunter versteh ich: Gesund mit graden Gliedmaßen. Ein bucklichtes Fräulein, und wenn sie sechzehn Ahnen hätte, ist in meinen Augen immer tief übel geboren.

MISTRISS SMITH. Mon Fils! Hast du kein Riechfläschchen bei dir?

SAMUEL. O ja, gnädige Mama! Er reicht es ihr hin.

MISTRISS SMITH. Liddy halt mich! ich werde in Ohnmacht fallen.

SIR JOHN. Bemühen Sie sich nicht! wir verstehen dergleichen nicht zu schätzen.

MISTRISS SMITH. Kein Wunder wär es, wenn die Geister aller meiner erhabenen Voreltern sich mit Hohngelächter um mich her versammelten. Es geschieht ihm schon recht dem deutschen Fräulein, das sich zur englischen Kaufmannsfrau herabwürdigte; um dessen Hand Grafen buhlten, und das ihnen allen einen Menschen vorzog, ohne Education, ohne Savoir vivre, ohne nobles principes, einen Bankeruttierer, einen Krüppel, einen Bettler –

SIR JOHN. Liddy, fahr mich in mein Zimmer!

MISTRISS SMITH. Glauben Sie ich könnte Ihnen nicht dahin folgen? Nur Geduld! ich werde gleich nachkommen.

SIR JOHN. Nun Liddy, so fahr mich ins Grab.

MISTRISS SMITH. Nur noch erst ein paar Worte mir dir mein Sohn! Liddy fährt den Alten ab.


Quelle:
August von Kotzebue: Schauspiele. Frankfurt a.M. 1972, S. 136-139.
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