Sechster Auftritt


[141] Gurli – Samuel.


GURLI ist in ein Negligé, nach englischem Geschmack gekleidet. Ihre Haare, ohne irgendeine Zierrat, hängen ihr ein wenig wild um den Kopf, und überhaupt ist ihr ganzer Anzug zwar sehr reinlich, aber hin und wieder nachlässig verschoben. Im Heraustreten noch hinter sich redend. Nein ich will nicht! Ha! ha! ha! das ist doch sonderbar! Da haben die Menschen ohne mich zu fragen eine Glocke auf einen hohen Turm gehängt, und wenn das Ding soundsovielmal brummt, so soll Gurli frühstücken. Gurli will aber nicht frühstücken. Gurli ist nicht hungrig.

SAMUEL im Umwenden zu sich. Ganz allein? vortrefflich! die beste Gelegenheit, so recht mit Vorsicht zu sondieren. Laut. Schöne Gurli, ich wünsche Ihnen einen guten Morgen.

GURLI. Guten Morgen, du närrischer Mensch.

SAMUEL frappiert. Närrischer Mensch? – wie soll ich das verstehen? – Sie werden beleidigend Miß.

GURLI. Sei nicht wunderlich! Gurli meint es nicht böse, Gurli muß aber immer lachen, wenn sie dich sieht!

SAMUEL. Lachen? über mich? – da muß ich fragen: Warum? – Antwort? –

GURLI. Das weiß ich selbst nicht. Ich denke, weil du immer aussiehst, als ob das Wohl von ganz Bengalen auf deinen Schultern ruhte, und weil du so viele Anstalten machst, über eine Pfütze zu schreiten, als ob du den Ganges vor dir hättest.

SAMUEL. Ich merke, daß die Erziehung in Bengalen noch gar sehr vernachlässigt wird. Kinder reden von Dingen, die sie nicht verstehen.

GURLI. Mein feiner Herr, Gurli ist kein Kind mehr, Gurli wird bald heiraten.

SAMUEL erschrocken. Heiraten? wirklich?

GURLI. Ja! Ja! der Vater sagts.

SAMUEL. Wen denn?[141]

GUHLI. Das weiß ich nicht.

SAMUEL. Also hat der Vater einen Mann für Sie ausgesucht?

GURLI. Warum nicht gar! Gurli sucht selbst aus.

SAMUEL. Wirklich? die Wahl ist Ihnen ganz allein überlassen? – Fast möcht ich fragen, schöne Miß: haben Sie schon Ihr Auge auf irgend jemand geworfen? Antwort? –

GURLI. Mein Auge werf ich wohl hin und her, aber mein Herz rührt sich so wenig als eine Wachtel im Nest.

SAMUEL. Schön! vortrefflich! fast möcht' ich fragen allerliebste Gurli, wie gefall ich Ihnen? Antwort? –

GURLI. Du! nicht sonderlich.

SAMUEL. Immer fallen Sie doch auch mit der Tür ins Haus. Muß man es denn einem Manne gerade ins Gesicht sagen, daß man keinen Wohlgefallen an ihm findet?

GURLI. Du fragst mich ja darum.

SAMUEL. Wenn auch. Und dann das bäuerische Du! Ich rate es Ihnen als Ihr Freund, Miß, gewöhnen Sie sich das ab.

GURLI. Der Vater hats mir auch schon oft verboten, aber Gurli muß immer lachen, wenn Gurli mit einem einzigen Menschen sprechen soll, als wären ihrer ein halbes Dutzend.

SAMUEL. Einmal aber ists doch bei uns so die Sitte.

GURLI. Nun ja doch. Ich kann Sie auch wohl Sie nennen, wenn du es durchaus haben willst.

SAMUEL. Sollten einst vielleicht süßere Bande uns vereinigen, so ist es ja noch immer Zeit –

GURLI. Ja, damit hat's Zeit.

SAMUEL. Ich muß nur näher rücken Zu sich.

GURLI gähnend. Ich habe nicht ausgeschlafen!

SAMUEL zu sich. Aber mit Vorsicht! mit Vorsicht!

GURLI. Oder der Mensch macht mir Langeweile.

SAMUEL laut. Selig! dreimal selig wird sein der Glückliche, dem es einst gelingt, die schönste Blume zu pflücken, welche der Hauch des lieblichen Zephyrs aus ihrer Knospe hervorlockte.

GURLI lachend. Guter Freund! diese Sprache ist Sanskritta für mich, und die verstehn nur unsere Brahminen.

SAMUEL ärgerlich. Ich redete im orientalischen Stile; aber ich sehe wohl, man muß so deutlich mit Ihnen sprechen, daß sichs mit Händen greifen läßt.

GURLI. Ja, so hört es Gurli am liebsten.

SAMUEL. Nur schade, daß die Klugheit eine solche Sprache durchaus verbietet.[142]

GURLI. Aber die Klugheit verbietet Gurli nicht, davonzulaufen, und dich hier stehen zu lassen, denn du machst ihr herzliche Langeweile. Sie will fort.

SAMUEL. Nur noch einen Augenblick, schöne Gurli! – Ich würde gern deutlich mit Ihnen reden – mich deutlicher erklären – mich auf das deutlichste ausdrücken – wenn – wenn ich nur wüßte – ob vielleicht Ihr Herr Vater einer Unterstützung bedürftig wäre. –

GURLI. Wunderlicher Mensch! mein Vater ist nicht alt, mein Vater geht flink und rasch ohne Stock; ja du kannst ihm den schönsten Palankin vor die Türe tragen lassen, er geht doch lieber zu Fuße.

SAMUEL. Nicht doch! so versteh ich es nicht. Ich wollte damit sagen – daß ich ihm zu helfen wünschte – wenn er etwa unglücklich wäre –

GURLI plötzlich ernst. Unglücklich?

SAMUEL sehr neugierig. Ja, ja unglücklich. Fast möcht' ich fragen: wie ist es damit? Antwort? –

GURLI weinend. Ach ja, mein armer Vater ist unglücklich.

SAMUEL zu sich. Nun da haben wir's!

GURLI. Und du wolltest ihm helfen? Dafür muß ich dich küssen Sie küßt ihn.

SAMUEL sehr verlegen. Ja ich meinte nur so, wenn es meine Kräfte nicht überstiege. Helfen ist wohl ganz gut; aber man kann nicht wissen, wo man es selber braucht.

GURLI. Ach! du kannst ihm nicht helfen; und die arme Gurli kann ihm auch nicht helfen.

SAMUEL zu sich. Dem Himmel sei Dank! da hätt ich mich bald mit einer Bettlerin verplempert Laut. Ich will indessen hoffen, es werde noch nicht so weit mit ihm gekommen sein, daß er die Hausmiete für den verflossenen Monat nicht bezahlen könnte – nicht um meinetwillen – sondern mein Vater – er ist ein wenig streng –

GURLI. Die Hausmiete?

SAMUEL. Ja, ja, die Hausmiete.

GURLI. Träumst du?

SAMUEL. Ich sollte nicht denken.

GURLI. Weißt du was guter Freund? Wenn du meinem Vater ein gutes Wort gibst, so bezahlt er dir nicht allein die Miete, sondern auch das ganze Haus, und noch ein Dutzend solcher Narren, als du bist, obendrein. Sie hüpft lachend ab.

SAMUEL. Das ist heute schon zum zweiten Male, daß man mich[143] einen Narren schilt. Doch beidemal warens nur Weiberzungen, und da frage ich billig: ziemts einem vernünftigen Manne, sich darüber zu ärgern? Antwort: nein.


Quelle:
August von Kotzebue: Schauspiele. Frankfurt a.M. 1972, S. 141-144.
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