Siebenter Auftritt


[144] Der Visitator – Samuel.


VISITATOR. Gut, gut, daß ich Sie treffe! Bin gelaufen, daß ich kaum Luft schöpfen kann! – Uf!

SAMUEL. Nun mein lieber Visitator? Hat Er sich meines Auftrages erinnert? Hat Er mit der nötigen Vorsicht und Behutsamkeit sondiert?

VISITATOR. Zu dienen! wie ein Schleichhändler bin ich umhergekrochen, hab ihn vom Kaffeehause in die Oper, vom Quai auf die Börse verfolgt, und da hab ich in aller Eile manches erschnappt.

SAMUEL. Pro primo also: in Ansehung seines Standes?

VISITATOR. Ja, da weiß ich soviel, wie nichts. Niemand kennt ihn, niemand will von ihm wissen. Ein Ostindianer, darüber sind die Stimmen einig, weil man es aus seinem eigenen Munde weiß. Aber ob von der Küste von Malabar, oder der Küste von Koromandel, oder der Küste von Orixa, das hab ich in aller Eil nicht erfahren können! Soviel ist gewiß, kein hiesiges Schiff hat ihn herübergeführt. Er muß dem Vermuten nach von Portsmuth zu Lande hieher gereist sein.

SAMUEL. Pro secundo sein Vermögen betreffend –

VISITATOR. Da kann ich die Ehre haben, so geschwind als möglich mit vollständigem Nachrichten zu dienen. Trotz der einfachen Kleidung dieses Mannes, und aller seiner Hausgenossen, trotz der einzigen Schüssel, welche täglich auf seiner Tafel steht; trotz des klaren Brunnenwassers, welches er trinkt; halte ich ihn, mit Ihrer Erlaubnis, doch für einen der Reichsten in dieser ansehnlichen Handelsstadt.

SAMUEL. Frage: warum? Antwort? –

VISITATOR. Antwort: darum, weil er das Geld in aller Eile mit vollen Händen zum Fenster hinauswirft.

SAMUEL. Wieso?

VISITATOR. Lassen Sie sich ohne Zeitverlust erzählen, mein werter Herr Inspektor. Vorige Woche war das Handlungshaus, Braun & Belton, auf dem Punkte zu fallieren, man sprach auf der Börse schon ganz laut davon, und wie es[144] denn zu gehen pflegt, der eine bedauerte, der andere zuckte die Achseln, der dritte sprach von Sonnenschein und Regen. Kaberdar, dem ich in aller Eil nachschlich, ging von einem Kaufmann zum andern, und erkundigte sich nach der Beschaffenheit der Umstände. Da hörte er denn überall, daß Braun & Belton brave ehrliche Leute wären, welche durch unverschuldete Unglücksfälle in diesen Wirrwarr geraten. Was tut er? In der größten Geschwindigkeit setzt er sich nieder, schreibt ein Billet an Braun & Belton folgendes Inhalts: »wenn zehntausend Pfund Sterling Ew. Edlen retten können, so leihe ich Ihnen diese Summe ohne Interessen auf sechs Monate.« Braun & Belton, welche den Mann in ihrem Leben nicht gesehen haben, sind vor Erstaunen und Entzücken außer sich, honorieren ihre Wechsel, treiben ihre Geschäfte eilig und schleunig wie zuvor, und verehren den Ostindianer wie einen Heiligen.

SAMUEL. Mein Gott! welche Unvorsicht! – Der Mann muß sich je eher je lieber einen Eidam suchen, der ihm statt Vormunds diene; einen vernünftigen, vorsichtigen, wohlbedächtigen Mann. – Doch weiter, mein lieber Visitator! – Er hat mir nun zwar bewiesen, daß dieser Kaberdar einst zehntausend Pfund Sterling im Vermögen hatte; Er hat mir aber zu gleicher Zeit dargetan, daß der Narr sie aus dem Fenster geworfen. Es fragt sich also –

VISITATOR. Ob er noch so viel übrig behalte, um die Aufmerksamkeit eines vernünftigen Mannes zu reizen? Auch da werd' ich in aller Eil die Ehre haben, Sie zufriedenzustellen. Sie kennen doch das schöne Landgut Roggershall, so reich an Fisch und Wildpret, an Feld- und Gartenfrüchten, und welches überdies den herrlichen Vorzug genießt, daß man sich in der größten Geschwindigkeit dahin begeben kann, weil es nur zwo Meilen von der Stadt entfernt ist? Dieses schöne Stück Landes hat der junge Erbe liederlich verpraßt und unser Ostindianer in aller Eil an sich gekauft.

SAMUEL. Wie? ist das gewiß?

VISITATOR. Sage, schleunig gekauft und eilig bezahlt.

SAMUEL. Hm! Ei! – Aber ich muß mich doch noch ein wenig genauer und umständlicher unterrichten. Bestätigt sich die angenehme Botschaft, so hat Gurli einen Brautschatz aufzuweisen, der einen Schleier über ihre vielfältigen Unarten deckt – Ich will mich nur gleich auf die Börse begeben. Hat Er mir noch etwas über diesen Punkt mitzuteilen?[145]

VISITATOR. Nichts von Belang. Er spricht sehr wenig – er kauet Betel – er hat eine große Ehrfurcht vor Kühen; und so oft unsere Stadtherde ausgetrieben wird, empfängt er sie mit tiefen Reverenzen – er badet sich täglich – so oft Neumond oder Vollmond eintritt, teilt er Almosen aus.

SAMUEL. Bin ich nur erst sein Eidam, so soll der Nebel dieser Narrenpossen vor der Sonne der Vernunft bald zurückweichen. Ich will ihm beweisen, daß eine Kuh nicht mehr Anspruch auf seine Ehrerbietung machen darf, als ein Esel. Ich will ihm beweisen, daß weder im Neumond noch im Vollmond, weder im ersten noch im letzten Viertel, die Vorsicht erlaubt, Almosen zu geben. Kurz! ist der Ankauf von Roggershall richtig, so ist die Heirat mit Gurli auch richtig. Unterdessen, mein lieber Visitator, leb' Er wohl! Sei Er unermüdet, fleißig, tätig und vor allen Dingen vorsichtig. Stell Er Seine fünf Sinne allenthalben auf die Lauer. Mein dankbares Gemüt ist Ihm bekannt, und wenn jemals die Frage entsteht: ob ich Ihm mit Vergnügen wieder dienen werde? So ist die Antwort jederzeit: ja Er macht dem Visitator eine gnädige Verbeugung und geht ab.


Quelle:
August von Kotzebue: Schauspiele. Frankfurt a.M. 1972, S. 144-146.
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