Neunter Auftritt


[147] Musaffery – Der Visitator.


MUSAFFERY immer sehr ehrbar und trocken. Was willst du, guter Freund? Wem gilt dein Besuch? mir?

VISITATOR. Nicht so ganz eigentlich.

MUSAFFERY. Oder meinem Herrn?

VISITATOR. Das wollt' ich eben nicht behaupten.

MUSAFFERY. Oder der Tochter meines Herrn?

VISITATOR. Wenn ich das sagte, würde ich lügen.

MUSAFFERY. Also der hölzernen Tür? Denn in diesem Zimmer wohnen nur drei Menschen: mein Herr, die Tochter meines Herrn, und ich.

VISITATOR der sich nach und nach von seinem Schrecken erholt. Meine eigentliche Absicht war, Ihm in aller Eil einen guten Morgen zu wünschen.

MUSAFFERY. Guten Morgen.

VISITATOR. Und mich in der Geschwindigkeit nach Seinem Wohlbefinden zu erkundigen.

MUSAFFERY. Danke.

VISITATOR. Doch fein gesund?

MUSAFFERY. Gesund.

VISITATOR. An Leib und Seele?

MUSAFFERY. An Leib und Seele.

VISITATOR. Versteh Er mich recht, hochgeschätzter Freund! man kann vollkommen gesund sein, vollkommen; aber was hilft zum Beispiel die Lust zu schlafen, wenn Nahrungssorgen das Herz gleich einem Mühlstein drücken? Was hilft der vortrefflichste Hunger dem armen Teufel, der keinen[147] Bissen Brot aufzutreiben vermag? Doch beides ist wohl nicht Sein Fall?

MUSAFFERY. Nein!

VISITATOR. Er hat mehr als Er braucht.

MUSAFFERY. O ja.

VISITATOR. Sein Herr ist sehr reich?

MUSAFFERY. Brahma hat ihm viel geschenkt.

VISITATOR sehr neugierig. Brahma? Wer ist dieser Herr? Ich hab ihn nie nennen hören. Verschenkt er so gern?

MUSAFFERY. Brahma schenkt allen guten Menschen.

VISITATOR. Wirklich? Wo wohnt denn der Herr Brahma? Damit ich in aller Geschwindigkeit zu ihm eile –

MUSAFFERY. Er wohnt an den Ufern des Ganges.

VISITATOR. Das ist mir zu weit. Sein Herr ist vermutlich mit ihm verwandt?

MUSAFFERY. Mein Herr ist entsprossen aus seiner Schulter.

VISITATOR. Eine kuriose Verwandtschaft.


Quelle:
August von Kotzebue: Schauspiele. Frankfurt a.M. 1972, S. 147-148.
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