Dritter Auftritt


[158] Liddy – Kaberdar.


KABERDAR als er Liddy erblickt. Ha! Sie selbst! Guten Morgen Miß.

LIDDY im Vorbeigehen mit einer Verbeugung. Guten Morgen Sir. Sie geht an die Tür, sieht hinaus, kömmt zurück, tritt ans Fenster, und scheint sich auf allen Seiten nach etwas umzusehen.

KABERDAR. Miß Liddy erwartet vermutlich jemand?

LIDDY sich umkehrend. Ja Sir, einen Knaben, dem ich einen kleinen Auftrag gab. Es war mir vor einigen Minuten als säh ich ihn hier ins Haus gehen; ich muß mich aber doch geirret haben. Sie erblickt plötzlich ihre Manschetten in Kaberdars Händen, und fährt ein wenig zurück.

KABERDAR stellt sich als merke er es nicht. Ein Knabe war hier, doch vermutlich nicht der, welchen Miß Liddy erwartete. – Sehn Sie Miß, ich habe eben ein paar Manschetten gekauft. Wir Männer werden mit dergleichen Ware gewöhnlich betrogen. Was halten Sie davon?

LIDDY verlegen. Sie sind recht artig.[158]

KABERDAR. Wie hoch schätzen Sie sie?

LIDDY. Ein paar Kronen mögen sie immer wert sein.

KABERDAR. Ja Miß, Kronen sind sie wert! Wer nur Kronen hätte, um sie auf das Haupt jenes vortrefflichen Mädchens zu setzen. Diese Manschetten, Miß, hat nach der Erzählung des Knaben, eine Tochter mit Aufopferung ihrer nächtlichen Ruhe verfertigt, um ihrem kranken Vater ein Labsal zu verschaffen.

LIDDY sehr verlegen. So?

KABERDAR. Wieviel meinen Sie nun wohl, daß diese Manschetten wert sind?

LIDDY. Soviel, als die erfüllte Pflicht eines Kindes.

KABERDAR. Miß Liddy – Sie bei der Hand angreifend. – Ich bin ein ehrlicher Mann – wollen Sie mich heiraten? –

LIDDY außerordentlich überrascht. Sir – mein Gott! –

KABERDAR ihre Hand loslassend, im gutmütigen Tone. Fassen Sie sich! Warum erschrecken Sie? Ich wollte Sie nicht erschrecken. Es kann sein, daß Ihr Herz schon versagt ist. Reden Sie frei! Es wird mir leid tun; aber ich bleibe Ihr Freund. Wahrlich, ich bleibe Ihr Freund!

LIDDY die nicht weiß was sie sagen soll. Sir – ich habe Vater und Mutter.

KABERDAR. Erst mit Ihnen, dann mit Ihrem Vater. Liebe Liddy, Sie sind verlegen, das wünscht' ich nicht. Denken Sie, ein paar Freunde wollten eine Reise miteinander verabreden; der eine fragt, der andere antwortet: Hast du auch Platz für mich? Bist du nicht launisch, oder mürrisch? Verlierst du nicht gleich den Mut, wenn es einmal stürmt oder donnert? Wirst du dir bis ans Ziel keinen andern Gefährten wünschen? – Sie kennen mich Miß. Sie haben mein Tun und Lassen beobachtet. Wie ich heute bin, war ich gestern, und wie ich gestern war, werd' ich morgen sein.

LIDDY. Aber nicht ich, Sir. Die wenigen Reize, welche vielleicht heute Ihr Wohlgefallen erregten, werden morgen verblüht sein.

KABERDAR. Miß, die Hand welche diese Manschetten nähte wird auch dann noch küssenswert sein, wenn sie entfleischt und runzlicht, kaum noch eine Krücke zu halten vermag.

LIDDY. Sie kennen mich noch nicht lange genug, und – erlauben Sie mir, mich Ihrer offenen, biedern Sprache zu bedienen – ich kenne auch Sie noch nicht lange genug.

KABERDAR. Wohlan! prüfen Sie mich, beobachten Sie mich, so[159] oft Sie wollen, so lange Sie wollen; ich scheue nicht den Blick der Tugend.

LIDDY. Fürs erste weiß ich ja noch nicht einmal wer Sie sind?

KABERDAR. O ich danke Ihnen, Miß, daß Sie sich herablassen darnach zu forschen. Das beweist mindestens, daß die Antwort auf meine Erklärung noch zweifelhaft ist. Sie sollen erfahren wer ich bin. Noch hat kein Herz in England das Geheimnis meines Standes und meiner Leiden mit mir geteilet. Ich ward am Ufer des Ganges, im Schoße des Glücks geboren, erzogen bei meinem Oheim, dem Beherrscher von Mysore, einem Biedermanne, dessen Thron und dessen Feinde ich erbte. Damals war ich kaum sechzehn Jahr alt. Man gab mir Weiber, weil es die Sitte erheischte, und einige zwanzig Jahr alt, sah ich mich schon Vater von fünf Söhnen und einer Tochter. Ich war glücklich, denn mich liebten die Meinigen, mich schätzten Franzosen und Engländer; mich fürchteten meine Feinde und Nachbarn; der Friede herrschte in meinem Lande und in meinem Pallaste. Ich war glücklich, denn – Dank sei es der Vorsehung! – der Mensch ist blind für die Zukunft. Daß ich Schlangen in meinem Busen nährte; daß meine eignen Brüder mir nach Krone und Leben trachteten, den Samen des Aufruhrs unter meine Untertanen streuten, das ahndete mein argloses Herz nicht. Die Verschwörung brach aus; der Szepter von Mysore ward in einer unglücklichen Nacht meinen Händen entrissen, und ach! meine Weiber, meine Söhne wurden ein Raub der blutdürstigen Sieger. Nur ich, meine Tochter, und ein alter treuer Diener, waren so glücklich unter tausend Gefahren den Strand des Meeres zu erreichen. Dort lagen eben zwei englische Schiffe segelfertig, deren eines uns aufnahm, die Anker lichtete, und in Liddy's Vaterland brachte. Will Liddy mir ersetzen was ich verlor, so war dieser Seufzer um mein entflohenes Glück der letzte.

LIDDY schlägt die Augen nieder, nach einer Pause. Sie sind also kein Christ?

KABERDAR stutzt, nach einer Pause. Es ist nur ein Weg zum Himmel, der Weg der Tugend.

LIDDY. Dieser Weg führt durch die christliche Kirche.

KABERDAR. Unsere Brahminen sagen: er führe durch die Pagoden; doch dem sei wie ihm wolle, an Ihrer Hand werde ich mich nie davon entfernen. – Nun Miß, noch mehr Einwürfe; ich höre sie gern; und beantworte sie gern.[160]

LIDDY immer mit jungfräulicher Verschämtheit. Ihre Weiber sagten Sie, wurden ein Raub des Siegers? Sind also tot?

KABERDAR. Vermutlich.

LIDDY. Sie haben keine gewisse Nachricht davon?

KABERDAR. Nein.

LIDDY. Aber wenn sie noch lebten?

KABERDAR. Wenn auch, für mich sind sie tot.

LIDDY. Wie, Sie könnten? –

KABERDAR. Liebe Liddy! Messen Sie mich doch nicht mit dem Maßstabe der Europäer. Meine Weiber waren meine Sklavinnen, die ich verstoßen konnte, wenn mir die Lust dazu ankam. Aber gesetzt auch, ich hätte sie geliebt, wie ich – wie ich Sie liebe; was würde ihnen meine Liebe und Treue in einer Entfernung von einigen tausend Meilen frommen? – Für mich ist mein Vaterland auf ewig verloren; ich werde nie wieder in Indiens glücklichen Gefilden wandeln.

LIDDY. Wissen Sie auch Sir, welche Schlußfolge ich aus dieser Behauptung ziehen könnte?

KABERDAR. Nun?

LIDDY. Wenn Sie einst England verlassen sollten, so werden Sie wieder ein anderes Mädchen heiraten, unter dem Vorwande, daß Ihre Liebe und Treue mir doch nichts mehr nützen würden.

KABERDAR. Sie haben recht Miß; aber einen Umstand haben Sie vergessen: Ihnen werde ich Treue schwören, und England werde ich nie wieder verlassen.

LIDDY. Wer wird Sie halten?

KABERDAR. Die Liebe.

LIDDY. O das arme, schwache Kind!

KABERDAR. In unserer Religion ist dies Kind ein Gott.

LIDDY. Sie sprechen gut, aber Sie überzeugen mich nicht.

KABERDAR. Ich wünschte, Sie schöpften diese Überzeugung nur aus meinem Herzen.

LIDDY. Dringt mein Auge bis dahin?

KABERDAR. Es schwimmt in meinen Blicken. Doch wohlan! vielleicht daß Nebendinge Ihnen kräftiger beweisen, daß der Entschluß in England zu bleiben, mir wahrhaftig ernst ist. – Alles was ich in jenem unglücklichen Zeitpunkt von meinen Schätzen zu retten vermochte, waren meine Diamanten: Spielwerk für einen Fürsten; ein ansehnlicher Schatz für einen Privatmann. Ich habe sie hier zu Gelde gemacht, und Ländereien dafür gekauft. Kennen Sie Roggershall?[161]

LIDDY. Roggershall war eine meiner Lieblings-Spazierfahrten Mit einem halben Seufzer. als wir noch Kutsch und Pferde hatten.

KABERDAR. Es wird nur bei Ihnen stehen, sich in Zukunft so oft und so lange Sie wollen, daselbst aufzuhalten. Sie sind unumschränkte Gebieterin auf Roggershall, ich verschreib es Ihnen zum Witwensitz.

LIDDY. Nein Sir, so war es nicht gemeint. Gesetzt auch, es käme mit uns beiden dahin – wo es noch nicht ist; so würden Sie mich doch nie überreden, Ihre Tochter zu bevorteilen.

KABERDAR. Sein Sie unbesorgt! Meine Tochter behält noch einen ansehnlichen Brautschatz übrig. Ich kenne meine Vaterpflichten; ich kenne aber auch die Pflichten gegen mich selbst – Nun, Miß, hab' ich alle Ihre Einwürfe gehoben? darf ich Ihnen ein Bild des glücklichen, einsamen Lebens vor die Augen stellen – des vollen Genusses aller häuslichen Freuden? an einem reizenden Ort wie Roggershall, an der Seite Ihres Gatten, der gewiß einst, wo nicht auf Ihre Liebe, doch auf Ihre Freundschaft und Zuneigung rechnen darf; an der Seite meiner guten, muntern Gurli; Mit niedergeschlagenen Augen. im Kreise Ihrer Kinder; und was Ihnen vielleicht mehr gilt als alles, in den Armen Ihres alten Vaters, den ich zu mir nehmen will, dem Sie seine letzten Tage versüßen werden der im Anblick unserer Zufriedenheit wieder aufleben wird. – Er bricht kurz ab, schweigt, und sieht sie starr an.

LIDDY ist bewegt, Tränen stehen ihr in den Augen; sie wendet sich ab von Kaberdar, faltet die Hände, blickt gen Himmel und bleibt einige Augenblicke in dieser Stellung. Darauf kehrt sie sich rasch zu ihm, und reicht ihm die Hand.

KABERDAR ergreift ihre Hand mit Entzücken, schlägt seinen Arm um ihren Nacken und küßt sie. Beste der Töchter! der Himmel segne unsern Bund! Er ward aus treuem redlichen Herzen geschlossen!

LIDDY. Ja, wahrlich! das ward er!

KABERDAR seinen Ring an ihre Hand steckend. Leben Sie wohl liebe Liddy! – Bald, recht bald meine teure Gattin! Mein Herz strömt von Freude über. Ich muß meinen alten Kameraden Musaffery aufsuchen; er hat die Last des Kummers mit mir geteilt, er soll sich heute im Becher der Freude mit mir berauschen. Leben Sie wohl! Diese Manschetten trag ich an meinem Hochzeitstage. Ab.


Quelle:
August von Kotzebue: Schauspiele. Frankfurt a.M. 1972, S. 158-162.
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