Vierzehnter Auftritt


[201] Mistriss Smith – Kaberdar – Sir John von Samuel herausgefahren – Die Vorigen.


MISTRISS SMITH im Hereintreten. Ciel! welch ein pöbelhafter Lärm?

KABERDAR seinen Sohn erblickend. Gott! was ist das?

FAZIR seine Knie umfassend. Mein Vater!

GURLI UND MUSAFFERY um ihn her hüpfend. Er lebt! Er lebt!

KABERDAR seinen Sohn heftig umarmend. Du lebst? – O Brahma! kannst du mir all mein Zweifeln und Murren vergeben? Mein Erstgeborner lebt! ich drücke ihn in meine Arme! ich habe meinen Sohn wieder! was ist Fürstengold und Fürstendiadem gegen diesen Augenblick?

MUSAFFERY sich tief zur Erde neigend. Wir danken dir Brahma! wir danken dir!

KABERDAR Augen und Hände gen Himmel hebend. Ja, wir danken dir in stillem Gebet.

SIR JOHN. Ein süßer froher Augenblick! Schmerzstillende Arznei.

MISTRISS SMITH. Ein Roman; ein wahrer Roman!

SAMUEL. So scheint's mir auch. Ich zweifle noch sehr an der Wahrheit.

ROBERT. Gib dir keine Müh, Bruder, ich bürge dafür.

KABERDAR. Sprich mein Sohn! durch welches Wunderwerk bist du unsern Mördern entgangen?

FAZIR. Ich schweifte lange in der Irre umher, aber ein guter Engel leitete meinen Fußtritt. Ich wußte nicht, wohin ich ging, noch was aus mir werden würde. Überall ward ich verfolgt, ohne es zu wissen; und überall entfloh ich, ohne es zu wissen. Brahma hat mich erhalten.

MUSAFFERY bückt sich tief. Brahma sei gelobt!

FAZIR. Am zehnten Tag meiner Flucht, als Hunger und Müdigkeit mich fast zu Boden warfen, stieg ich mühsam einen Hügel hinauf, und plötzlich lag vor meinen Blicken das grenzenlose Meer. Ein fremdes Schiff war eben abgesegelt, kaum einen Kanonenschuß vom Ufer entfernt. Ach! dacht ich, wär ich nur eine Stunde früher angelangt, dieses Schiff hätte mich aufgenommen, und allen Gefahren auf immer entzogen. Ich wickelte in Eil meinen Turban auseinander, ich ließ den Musselin in die Luft flattern, und winkte und schrie, so laut ich konnte; aber umsonst! das Schiff segelte mit frischem Winde von dannen. Ich war der Verzweiflung[202] nahe; der Hunger trieb mich auf dem ungebahnten Pfade, den ich bisher gewandelt hatte, herunter an den Strand. Da sucht ich Meerschnecken, unbekümmert, ob man mich erhaschen werde oder nicht. Plötzlich, welche Freude! erblickt ich hinter einer Felsenspitze, noch ein zweites Schiff vor Anker hegend; dessen Kapitän war dieser brave Mann, Auf Robert zeigend. dem dank' ich meine Rettung und mein Leben, und meinen bisherigen Unterhalt.

MUSAFFERY sich tief bückend. Brahma sei gelobt!

GURLI auf Robert zufliegend und ihn umhalsend. O du guter Mensch.

ROBERT. Possen!

KABERDAR Robert die Hand schüttelnd. Sir, wenn auch Sie einst Vater sind, dann werden Sie fühlen, daß für eine solche Wohltat, der Dank eines Vaters keine Worte hat.

ROBERT. Bei Gott, Sir ich schäme mich; als ich den jungen Menschen da aufnahm, dacht ich weder an Dank noch an Belohnung. Ich folgte meinem Herzen, und siehe da, ich habe mir selbst einen Freund gerettet.

SIR JOHN. Umarme mich mein Sohn! – Gott segne dich!

MISTRISS SMITH ihm die Hand zum Kuß reichend. Mon fils, deine noble Denkungsart, hat mich ganz enchantiert.

ROBERT. Liebe Mutter, meine Denkungsart war in dem Augenblick so wenig nobel, daß ich sogar fürchte, es lief ein wenig Neid und Eifersucht mit unter: den Abend zuvor hatten sich auch drei unglückliche Flüchtlinge auf das Schiff gerettet, welches neben mir vor Anker lag, und bei meiner armen Seele! ich ärgerte mich, daß der Zufall sie an meines Nachbars Bord geführt hatte.

KABERDAR. Diese drei Flüchtlinge waren wir. Jener brave Mann, rettete Vater, Tochter und Freund; dieser brave Mann bringt mir auch meinen Sohn zurück.

GURLI. Nicht wahr Vater, Gurli darf diesen guten Menschen heiraten?

KABERDAR. Wenn er dich will, von ganzem Herzen.

GURLI. Wenn er mich will? o ja er will! nicht wahr guter Robert?

ROBERT zu Samuel. Bruder du wirst mirs nicht übelnehmen, meine großmütige Entsagung würde dir zu nichts helfen, denn dich nimmt sie doch nicht.

GURLI. Nein wahrlich nicht, närrischer Samuel, dich wird Gurli nimmermehr heiraten.[203]

SAMUEL. Es entsteht hier billig die Frage: was wird Sir Samuel Smith nunmehro anfangen? Antwort: sich hängen – wenn es nämlich die Vorsicht gestattet. Ab.

KABERDAR. Alles vereinigt sich, mir zu beweisen, daß ich nichts gewann, als der Zufall ein Diadem um meine Stirne wand; und daß ich nichts verlor, als der Zufall es wieder herunterriß. Gute Kinder, geprüfte Freunde – was fehlt meinem Glücke? ein braves Weib! und auch das hab' ich gefunden. Madame, nur Ihre Einwilligung mangelt mir noch. Ich liebe Ihre Tochter Liddy. Zwar kenn' ich Ihre Grundsätze und Ihre Ehrfurcht für alte Familien; aber ich hoffe allen Ihren Forderungen ein Genüge zu leisten, wenn ich Ihnen versichere: daß ich regierender Fürst von Mysore war, und daß meine Voreltern schon damals mit Ehren die Waffen trugen, als Alexander der Große Indien verheerte.

MISTRISS SMITH. Ich erstaune! – ein so altes Haus! – ich werde mirs zur Ehre schätzen, Sie in unsere Familie mit offenen Armen aufzunehmen.

FAZIR. Ach Vater!

KABERDAR. Nun?

FAZIR. Ach lieber Vater!

KABERDAR. Was willst du lieber Sohn?

FAZIR. Du hast mir das Leben gegeben, und willst mirs wieder nehmen?

KABERDAR. Ich versteh dich nicht.

FAZIR. Ich liebe Liddy so sehr.

KABERDAR. So? – und Liddy? –

FAZIR. Ich habe weder Tag noch Nacht Ruhe.

KABERDAR. Höre, lieber Junge, das vermag nur Liddy zu entscheiden. Freilich du zählst kaum zwanzig Jahr, und frische Jugend blüht auf deiner Wange. Ich hingegen trage meine fünfunddreißig auf dem Rücken. Indessen, so weit ich Liddy kenne, wird das schwerlich ihren Entschluß bestimmen. Laß sehen, wir wollen sie rufen. Spricht ihr Herz zu deinem Vorteil, so ergeb ich mich willig in mein Schicksal.

ROBERT. Frisch auf Jack! lichte die Anker und steure in Liddys Zimmer. Wir lassen sie bitten ihren Kurs hierher zu richten.

JACK. Wohl! wohl! Ab.

GURLI. Vater ich will dir sagen, wen von euch beiden Liddy heiraten wird.

KABERDAR. Nun?[204]

GURLI. Meinen Bruder Fazir.

KABERDAR. Woher weißt du das?

GURLI. Er ist hübscher als du.

KABERDAR. Ach liebes Mädchen, Liddy ist nicht ein Kind wie du.

ROBERT. Ich fürchte, was diesen Punkt betrifft, werden die Weiber ewig Kinder bleiben.

SIR JOHN. Es komme wie es wolle, so seh ich doch noch vor meinem Ende zwei glückliche Paare.

MISTRISS SMITH. Recht mon cher! dieser Tag söhnt mich mit dem Glücke wieder aus, und sanft werd ich einst zu meinen Ahnen hinüberschlummern. Bloß Samuels Schicksal geht mir doch zu Herzen.

GURLI. Der arme närrische Samuel! er dauert mich doch! was meinst du Robert? ich will ihn auch heiraten.

ROBERT. Zween Männer auf einmal? Nein Gurli das verbitt' ich mir.

GURLI. Nun wie du willst. Gurli macht sich nichts daraus.


Quelle:
August von Kotzebue: Schauspiele. Frankfurt a.M. 1972, S. 201-205.
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