Zwölfter Auftritt


[59] Baronin. Baron.


BARON sie vorführend. Nun höre mich an, Gretchen; wir wurden vorhin gestört. Ich bin Witwer, wohlhabend. Mit vieler Überlegung wählte ich mir eine Frau und war unglücklich. Als sie starb, wollte ich nie wieder heiraten. Ich führte monatelang ein qualvolles Leben, der Weltschmerz erfaßte mich, und ich wollte mich bereits erschießen – ich habe mich nicht erschossen.

BARONIN. Das seh' ich.

BARON. Oh, es kann noch dahin kommen!

BARONIN. Das verhüte Gott!

BARON. Da nun das erstemal Überlegung und Rücksicht mich so bitter getäuscht, so beschloß ich, bei der zweiten Wahl ganz ohne alle Rücksichten zu verfahren. Kurz, Gretchen, als ich dich erblickte, da war mir's, wenngleich meine Augen dich zum ersten Male sahen, als hätte dich mein Herz schon längst gekannt; mein Schmerz wurde milder, und plötzlich stand es fest vor meiner Seele: diese wird mein Weib!


Nr. 10. Duett


BARONIN.

Ihr Weib?

BARON.

Mein teures Weib!

BARONIN.

Das wäre viel Ehre

Für mich, doch gehet das nicht an;[59]

In unserm Dorf hat jede Frau

Nicht mehr als einen Mann.

BARON.

Noch bist du frei.

BARONIN.

Nicht frei, ich bin versprochen.

BARON erregt.

Entsage jenem Band.

BARONIN.

Das wäre Treu' gebrochen.

BARON.

Gesetzt, dein Bräutigam tritt dich

Mir ab, wärst du dagegen?

BARONIN.

Der Herr ist viel zu vornehm mir.

BARON.

Laß, Holde, dich bewegen!

Reich bin ich auch und vornehm –

BARONIN.

Auch?

BARON.

Vielleicht;

Doch soll dich das nicht blenden

Von meiner Lieb' allein –

BARONIN.

Ach so –

BARON.

Laß mich vollenden.

Von meiner heißen Lieb' allein

Red' ich zu deinem Herzen.

Wirst du noch ferner grausam sein,

Erwachen alle Schmerzen

Aufs neu in mir!

Nicht trag' ich mehr dies Leben; preisgegeben

Fühl' ich mich der Verzweiflung wieder;

Ein tötend Gift oder Blei, einerlei,

Gift oder Blei, was es auch sei,

Soll mir willkommen sein,

Zu enden meine Pein.

BARONIN.

Ach Gott, das wär' doch schade

Um ein so junges Leben.

Mich jammert Ihre Lage,

Doch hat es keine Not,

Vor Liebe heutzutage

Schießt keiner sich mehr tot.

BEIDE für sich.

Ist sein / ihr Plan, mich zu necken, abzuschrecken?

Fühlt sein / ihr Herz wirklich Liebe, wahre Triebe?

Ei, das schmeichelte mir sehr, ja wahrhaftig![60]

Zwar gelobt ich hoch und teuer,

Mich an Hymens heil'gem Feuer

Zu erwärmen nimmermehr;

Doch man müßte es probieren

Und noch einmal es riskieren,

Vielleicht wird ein dauernd Glück erreicht. –

BARON.

So zweifelst du an meinem Wort?

BARONIN.

Ich bitte, lassen Sie mich fort.

BARON.

Sei offen, Kind, mißfall' ich dir?

BARONIN.

Davon ist keine Rede hier.

BARON.

Bin ich so häßlich?

BARONIN.

Nein!

BARON.

Dir ganz zuwider?

BARONIN.

Sie sind so ernst.

BARON.

Das macht der Schmerz;

Soll mein Benehmen anders sein?

BARONIN.

's ist etwas wild.

BARON.

Das macht der Schmerz.

Ich bin ein Mensch voll lauter Schmerz,

Bis ich erzwungen hab' ein Herz,

Das mich dem Dasein wiedergibt,

Das mich versteht, das mich liebt.

BARONIN.

Ich zweifle fast, daß ich es kann,

Sie armer, schmerzensreicher Mann.

BARON.

Wohlan, du willst nicht, daß ich lebe?

BARONIN.

Ach Gott, es fällt mir gar nicht ein.

BARON.

Wohlan, der Tod, er ende meine Pein!


Geht bis zur Tür und wendet sich.


Ich gehe.

BARONIN.

Wunsche wohl zu leben.

BARON.

Von leben kann nicht Rede sein.

BARONIN lachend.

So wünsch' ich wohl zu sterben.

BARON.

Es würde wohl mein Tod dich gar erfreun?

BARONIN ärgerlich.

So argen Scherz zu treiben!

BARON.

Ein Scherz? Ein Scherz?

Wohlan! Nun lass' ich's bleiben.

BARONIN.

Es wär' auch wirklich schade, usw.

BEIDE für sich.

Ist sein / ihr Plan, mich zu necken, abzuschrecken? usw.[61]


Quelle:
Albert Lortzing: Der Wildschütz oder Die Stimme der Natur. Nach Kotzebue frei bearbeitet, Stuttgart 1969, S. 59-62.
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