Der 8. Gesang

[27] Nachdem ihm vorgefallen war in Lübekk 1675. di Wunderlilienfigur mit der Prophetin Tanneke Denys, und di Falsche Weltfigur mit Christian Werner; gesungen in viler Anfechtung über dessen vilbedeutende Falschheit in Hamburg den 5. Mertz 1676. im Hause, dessen Schild Breslau: darauf Werner in di gegrabene Grube selbst fil, sein Sohn Isaac dem Vater zum zeichen in London 1678. erstochen ward, und nun 1684 sein Segen vor aller Welt andern von Gott gegeben ist.


1.

Hoehr, Vater, höhr di ungerechte Wort!

Beschau den Trutz, mit dem er dich wil trutzen!

Ach führe mich aus disem Natterort!

Wo Falschheit sich der Warheit gleich darf putzen!

Wo Eigenheit Uneigenheit genannt!

Di Lib entlibt! Aufrichtikeit verdrehet![27]

Wo List und Trug stat Einfalt blos bekand!

Und heisst ein Christ, der Christusart verschmähet!

Jehova, hilf! Jehova, steh mir bei!

Jehova, komm! Jehova, mach mich frei!


2.

Wi offt ward ich von disem Mann betrübt?

Du weist sein Hertz, mit dem er dich geschertzet!

Der Schein ward nur vor wahres sein belibt!

Gold his nur Gott, den er allein behertzet!

Der Glaube war ein schlechtgeringes Ding!

Des Nechsten Nutz des gantzen Lebens Angel,

Den er vor dich von dir allein empfing!

Verstellter Christ: da Christus Geist der Mangel!

Jehova, hilf! Jehova, steh mir bei!

Jehova, komm! Jehova, mach mich frei!


3.

Du zeigtest mir, mein Vater, dessen Sinn,

Wi er mit mir zukünfftig würde handeln!

Wi nur sein Zwekk ein euserlich Gewinn,

Auch ni ihm ernst in deiner Furcht zuwandeln!

Du prüftest ihn und stund er gar nicht fest!

Imehr du gabst, imehr ging er verlohren!

Vernunfft und List verblib sein Allerbest!

Verblendter Christ, der Christus feind erkohren!

Jehova, hilf! Jehova, steh mir bei!

Jehova, komm! Jehova, mach mich frei!


4.

Ach wivil Strikk umstrikkten meinen Leib?

Sah ich mich nicht mit Garnen rings umzogen?

O glatte Zung! was sprachestdu: verbleib?

Was suchstdu mich? das ich solt sein betrogen?

Das ich verkaufft, eh ich verkauffet, würd?

Und Joseph noch ein neues Beispil gebe?

Das guttes thun mir wäre einst zur bürd?

Ach Christian, das Christus in dir lebe!

Jehova, hilf! Jehova, steh mir bei!

Jehova, komm! Jehova, mach mich frei!
[28]

5.

Was trägestdu di falsche Weltfigur?

Du scheinst ein Lamm, und gleichest doch den Schlangen!

So widrig (Ach!) di Lamm- und Schlangenspur:

So widrig ist dein Mund– und Geistverlangen!

Dis wis di Schrifft, di dir einst zugeschikkt:

Doch warestdu gerecht in deinen Augen!

Di Warnung blib rechtschaffen dir verdrükkt:

Wi deine Tauf, wil auch dein Nahme taugen!

Jehova, hilf! Jehova, steh mir bei!

Jehova, komm! Jehova, mach mich frei!


6.

Was ist dis Gifft, das du itzt säest aus?

Sol Gottes Geist dich wi den Weltgeist richten?

Elender! Ach! was wird strakks werden draus?

Ich wein und wein! Und sehe wohl dein sichten!

Du leugst nicht mir, nur Gottes Heilgem Geist,

Wenn du gewünscht des Ananias sterben!

Bistdu nicht falsch? wer ist, der dis nicht weist?

Erbarm dich dein, weil noch Erbarm zuerben!

Jehova, hilf! Jehova, steh mir bei!

Jehova, komm! Jehova, mach mich frei!


7.

Thu immerhin, was dir zuthun gefällt!

Ich bin entstrikkt, in Jesuskrafft entbunden!

Erwekk in mir den Grimm der gantzen Welt:

Doch wisse, das mich Pharao gefunden!

Drum singe ich: Triumf mit vollem schall,

Zuehren Gott, der mich von dir entladen!

Triumf, Triumf bleibt dann mein Widerhall,

Weil Gott der Herr gesorgt vor Josephs Schaden.

Jehova half! Jehova stund mir bei!

Jehova kam! Jehova macht mich frei!

Quelle:
Quirinus Kuhlmann: Kühlpsalter, Band 1 (Buch 1–4), Tübingen 1971, S. 27-29.
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