Der 1. (46.) Kühlpsalm

[204] Als er den 3 Mertz, fünfftage nach seiner Lebensgefahr auf der Insul Leon in Spanien, aus Cadix mit einer Flott von 50 Seilen, darunter auch di Englisch Smyrnischen absegelte; den 21 Mertz Engelland; den 29 unter grosser Verseilungsgefahr, di um den Charfreitag das Schif Calvarien trat, als er durch einen Engel erlöset ward; Tessel; den 1 Aprill Amsterdam erreichte, und nun recht di früchte seines verfallenen hauses, und der unter Rothens und Tannekens ausruff tummen ausgegangenen Jungfrauen einerndte, deren figuren di Leonsgefahr und Tesselsverseilung gewesen; voller Leiden angestimmet zu Amsterdam den 6 Mai 1679.


1.

Mein Gott, Mein Gott! Di zeit währt lang,

Darinn du mich scheinst gäntzlich zuverlassen!

Mein Gott, mein Gott! mir ist sehr bang,

Gefährlikeit wil mich erst rings umfassen!

Mein Gott, mein Gott! steh einst doch auf.

Ach hemme ferner nicht den lauf!

Dein Israel das wartet drauf!
[204]

2.

Der Drache wetzt nun erst di zähn!

Er wil dein Kind, das du gebährst, verzehren!

Dein Wort das seufftzt! Ach Vater, bähn!

Bähn, bähn den Weg! du wirst ihn selbst umkehren!

Eröffne strakks der Erden mund,

Das si verschlukke strom und schlund,

Der täglich wird mir schwachen kund!


3.

Was ists? welch Ris, der uns noch schrekkt?

Ein Schifbruch wil der Christuskirche nahen.

Jehovah, hilf! dein Hand di dekkt!

Jehovah, hilf, wi wir dich helfen sahen!

Erbarme dich in unserm harm!

Verarme, di uns machen arm!

Entwarme, di in kälte warm!


4.

Si Kühlen nun an uns den mutt,

An denen du wirst deine Rache kühlen!

Ström auf si selbst di Bosheitflutt,

Mit der man denkt dein Volk nun wegzuspilen.

Begeistre neu der zeugen beid!

Vergrösser ihrer Feinde leid!

Bewässre plötzlich aller freud!


5.

Erwache, Gott, in deinem grimm!

Verdrükke, di dein grosses Werk verdrükken!

Durchdonner si mit deiner stimm,

Di sich, nicht dich, nun suchen aufzuschmükken!

Vergilt den zugewandten hohn!

Gib ihnen längst verdinten lohn!

Si wollen stürtzen dich vom thron!


6.

Wi stehe ich, mein Gott, bedrängt!

Mein Gott, mein Gott! durch dich ist meine Rettung!

Imehr di Bosheit mich nun zwängt,

I kräfftiger sei plötzlich dein Entkettung.

Das wasser geht mir bis zum gaum,

Wir schwimmen als ein jäschend schaum:

Vor Gott in uns ist nirgends Raum.
[205]

7.

Di tummen Jungfraun sind zuklug!

Noch ist vil zeit zur lampen öl zukauffen!

Der Gottesruf ist ihnen trug:

Si sind gewis, das si das zil erlauffen.

Drum blende si in ihrem witz!

Di Narrheit hab in ihnen sitz,

Das si stets fallen, nicht nur itz.


8.

Wir sind ein spott in ihrem sinn!

Ein ärgernis in ihren stoltzen augen!

Si mögen selbst dis zihen inn,

Und solche Milch aus Babelsbrüsten saugen.

Verduppel ihnen ides Wort,

Mit dem si lästern fort und fort!

Ihr fall sei ihr Erhaltungsort!


9.

Gedenke, was si uns nun thun,

Wi gäntzlich klein si achten deine gaben!

Las si zu ihrem strikke ruhn,

Und sende mir nun des Elias Raben!

Gedenke aller unser schand,

Di dir in mir si zugewand!

Si komme ihnen gantz zur hand.


10.

Si schmähen noch dein Abendmahl!

Di drei sind frei, das si nicht dörften kommen!

Drum geh vorüber auch dein strahl,

Das er ni werd in ihnen i vernommen!

Der Erste hatt ursachen satt;

Dem zweitem ist vorm Weib kein Rath;

Des dritten sorg ist früh und spat.


11.

So höhnen si noch deine knecht!

Verschulden mehr, in dem si sich entschulden!

Di Falschheit heist hir recht und schlecht!

Wol an, mein Gott! Du wirst nicht mehr dis dulden!

Das Urtheil, das ein ider fällt,

Wird idem billichst zugestellt,

Das ider offen aller Welt.
[206]

12.

Jehovah, dein war dise Prob!

Du sihest wahr so viler kläglich flehen!

Jehovah, dein ist Preis und Lob!

Mir solte gantz, was andern theils, geschehen.

Jehovah, drum geh warheit aus!

Gerechtikeit di halte haus!

So wird Loth frei und Sodom graus!


13.

Ach höhrt! Ich schüttel ab den staub,

Der mir von euch bei euch ist angehangen!

Es sei di Frucht mit blüt und laub

Nun ewiglich von euch aus euch gegangen!

Verächter, wisst, das nun war da,

Was den Voreltern vor nur nah:

Das Abraham im glauben sah.


14.

Jehovah, weil meist alls volbracht,

So stärke mich, der du bist Ja und Amen!

Gib heilung nun durch deine macht

Dem blindem Volk, den krüpeln, tauben, lahmen;

Komm, Vater! Lindre meinen schmertz:

Verneue Seele, Geist und hertz!

Entstekke deine weisheitkertz!


15.

Jehovah, las nun brechen ab,

Was du mir gabst schon längst vor gnadenschätze:

Brich über unsre Feind den stab,

Das erst ihr aug an mir sich gantz verletze.

Gib, Vater, der Tinctur di blum,

Zu deines heilgen nahmens ruhm,

Das aufgebaut dein Heiligthum!


16.

Jehovah, di sich dir versagt,

Nun achte si zu deinem Werk unwürdig!

Las schauen si, was du betagt:

Doch schmekken ni, was ihnen vormals bürdig!

Das Gold und Silber sei gemein

Zu deinem Werk als grobe stein,

Und werd es doch nur Babelspein.
[207]

17.

Jehovah, tödt in mir mein Ichts,

Das sich dein quell in lauterkeit ausflüsse!

Versenke mich in deinem Nichts,

Das sich dein strom aus mir sibeinig güsse!

Hilf, Vater, hilf zum letztem sprung,

Um den mit mir der Drache rung,

Weil er verleuhret lung und zung.


18.

Befihl aufs neu der Engelschafft,

Das sichtbar si zur stärkung mich begleiten!

Vertausendfache deine krafft,

In dem du wirst, was du nur weist, bereiten!

Bereiten, was strakks sei volführt!

Volführt, was selbst durch dich regirt!

Regirt, das deine Kirch umzirt.


19.

Jehovah, Preis! Mein Monath gläntzt!

Mein Monath, O! der dreimahlvirtzig zählet!

Jehovah, Preis! Er lentzt und lentzt!

Er ist, den Gott zur Weltgeburt erwählet!

Sophia, Auf! O Wunderding!

Di von dem Heilgem dis empfing,

Mit dem si Zehnjahr schwanger ging!


20.

Jehovah, Preis! Mein Monde blinkt!

Gebähre mich, wi du mich hast erzeuget!

Hir ist dein Kind! Es sinkt und sinkt!

Und sinkt vor dich, das es von dir geseuget!

Mein Vater, Ach! Mein Hertz entflammt,

Weil es von deinem Hertz herstammt!

Dir schikk ichs nun! Gib, das es lammt!


21.

Jehovah, Preis! Mein Hertze pfeilt

Vor deinen stuhl um Jesushertz zubitten!

Jehovah! Mir sei mitgetheilt,

Was ewigst du aus Jesushertz wilst schütten!

Jehovah, Wann dein hertz sich bildt,

Ist zeit und Ewikeit enthüllt,

Das Weisheit alle Welt umfüllt.

Quelle:
Quirinus Kuhlmann: Kühlpsalter, Band 1 (Buch 1–4), Tübingen 1971, S. 204-208.
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