Der 10. (55.) Kühlpsalm

[287] In entsätzung der so gar seltenen Wunderleitung Gottes, durch solche unerwartete fälle, dadurch er zum leiblichem Hause König Friderichs und seines Geschlechtes noch unerwarteter geleitet ward; gesungen im Lilgenparis den 16 Jenn. 1680.


1.

O Wunderbahres Gottesleiten!

Ach unerforschlichs Vorbereiten!

O überseltne Führungsart!

Di mit Vernunfft sich nicht verpaart!

Di Menschensinn noch ni begreiffet!

Von der verwikkelt wird Verstand!

Gott führet Uns durch manche schand,

Wann gleich sein Werk mit trauben reiffet.


2.

Wi bin ich, Gott, bisher gefahren?

Was unaussprechliches bewahren?

Du führest mich durch gegenspil,

Und was ni deinen willen wil.

Ich weist nicht sattsam auszusagen,

Was mich durch dich bishero fasst!

Es dinet mir, was mich doch hasst!

Di Feinde müssen mich forttragen.


3.

Als Kohlmann hat entzündt mit kohlen,

Was du mit Kühlmann kühlst verhohlen,

So führstdu mich zum Kohlmannshauf;

Du gibst durch Kohlmann Kühlmannslauf.

Du blendest, Vater, ihre augen,

Das si mit sehen werden blind.

Was wunder, das ich stets empfind,

Was Gideon zum sig mus taugen?


4.

Si öffnen mir, was mir verborgen,

Und ihnen mehrt di Kohlmannssorgen,

Weil du zum Kühlmann mich erwekkt,

Das ewigst Kohlmann sei erstökkt.

Si sind in sich wi gantz verwirret!

Ich sehe täglich deine krafft,[288]

Umschlossen von der Engelschafft,

Das mich bestärkt und si verirret!


5.

Du lässest mich augscheinlich fallen

In des vollkomnen siges schallen!

Als alles sich zum zil genaht,

War alles, das mich erst vertrat.

Ich werd mit Armutt überkleidet,

Wann Reichthum mich am meisten schmükkt!

Wann werd ich doch wohl mehr gedrükkt,

Als wann di drükkung gleich abscheidet?


6.

Wi jämmerlich ist mein anschauen?

Wi haslich dann mein Gottsvertrauen?

Wi herrlich alle di Gestalt?

Wi wird strakks meine Jugend alt?

Wer lebet wohl auf diser Erden,

An dem dann zweifelt mehr di Welt?

Di thumme, di nach geld nachstellt?

Di täglich mus geldleerer werden?


7.

So spilstdu, Gott, mit deinen Kindern?

Du gibest alls und scheinst zumindern:

Bereicherst uns und läst uns arm!

Begnadest höchst und gibest harm.

Dis wil vernünfftge thire schrekken,

Di eintzig suchen Brod und Gold!

Es scheint, als wärstdu uns nicht hold,

Wann du uns wilst vor Thire dekken.


8.

Wi sind wir, Gott, bisher getriben?

Was ist uns endlich draus bekliben?

Wo machstdu hinn so still di bahn?

Wir schwingen weisblaurothe fahn.

Du leitest auf Europens hertze,

Aufs Wunderhaus, das figurirt:

Dem leiblich leiblikeit gebührt;

Aus welchem brandte deine kertze.


9.

Printz Friderich, du Böhmerkönig!

Was du verlohrst, ist gäntzlich wenig[289]

Vor disem, was Jehovah schenkt,

Was bald Madrill, Rom, Win durchkränkt.

Du bist vor allen noch erstorben,

Da du erst recht im Kühlmann lebst,

Dem Ferdinande widerstrebst,

Bis Böhmen dir zum thron geworben.


10.

Printz Salomon! Quinar des Rheines!

Du Kaiserstein des Kaisersteines!

Wir nahen dir in dem Geschlecht

Durch Wunderweg in Gottesrecht.

Du bist heut weit dir ausgebäumet!

Dein Stammbaum stammt durch manchen stamm

Zum zeichen, das dem Gotteslamm

Bald alle Stämm sind eingeräumet!


11.

Printz Friderich! Dir bleibet blühen,

Ob Rom dir wil vil blüt entzihen,

Ob dir abweichet mancher Erb,

Und wird dir herberer als herb.

Was leiblich dir dein Volk verschertzet,

Wird geistlich tausendfach ersätzt:

Du bleibst im innerm höchstergetzt,

Weil dich der Printz der Printzen hertzet.


12.

Das Christenreich durch Jesuskrone

Kommt endlich zu dem Thronenthrone:

Dem alle thronen sind zum fus

Demüttigst bittend ihren kus.

Si müssen sich i tiffer beugen,

I höher noch ihr stoltz aufgeht:

Es sinkt, was nun so hoch erhöht;

Es steigt, was sich so tiff mus neigen.


13.

Win, Rom, Madrill! Ihr seid verlohren!

Verflucht, verdammt, zum dinst verschworen!

Du Nimrodt mit der Jägerrei

Der vir Monarchen eil herbei![290]

Was euer Vir in sich beviret,

Was alle Erden überzwang,

Auf alles Vih in Wäldern drang,

Gehöhrt dem Reich, das Gott nun ziret.


14.

Imehr wir sind bisher verdränget,

Mit schmeltzungsfeuer durchgesenget,

Wann du genassst, O Nimrod, Wonn

Bei hellem Tag der Glükkessonn:

Imehr sind wir vor dir erhaben

In übergrosser Himmelslust.

Tinctur ist unserm Reich bewust:

Das überströmt ein Meer der gaben.


15.

Auf, Engel, Auf! Auf, Heilge Brüder!

Auf, singt mit mir frisch freudenlider!

Auf, thönt und thönt ihr Gottessöhn

Vollkomne Prachttriumffsgethön!

Triumf vor Gott, den alles preiste

Vor aller zeitenzeitenzeit

Der Ewikeiten Ewikeit;

Gott Vatern, Sohn und Heilgem Geist!

Quelle:
Quirinus Kuhlmann: Kühlpsalter, Band 1 (Buch 1–4), Tübingen 1971, S. 287-291.
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