Der 14. (59.) Kühlpsalm

[304] Als er viler Liblinge Gottes blühen, sigen, bestehen in Leiden, und verwelken, verlihren, verfallen in freuden tifsinnig überwog, aufopfferend voller furcht desto nakkterer sein hertze dem Allerhöchsten in allertifster Busse zu Paris den 12 Horn. 1680.


1.

Unendlich grosser Gott! Ich falle dir zu fus

Von gantzer Seelgeistkrafft in allertiffster Bus!

Ich blösse blos mein hertz mit aller seiner schand,

Das feigst und stoltzste ding, das Gott allein bekand.

Ich blöss imehr es dir, imehr dein sig mir blüht:

Mehr zitternd, mehr in furcht, imehr mein elend fliht.

Versuche nimmer mich, sonst wär ich (Ach!) verglüht!


2.

Vil Heilgen filen hir auf disem glatten eis,

Als si am sicherstem in vollem Sigesreis.

Wann dis am grünem holtz, was würd an mir vorgehn?

Ich fleh um Jesuskreutz! hilf, Vater, mir bestehn!

Ach beuge stets mein hertz! Ich opffre dir dis auf!

Sein wille sei dein will! O hemme seinen lauf!

Verneue dein Geschöpff! Mein Gott, ich warte drauf.


3.

Ich bin ein Wurm, kein mensch! nicht würdig, das ich leb,

Weil ich nicht, wi ich sol, mein Schöpffer, dich erheb.

Mein hertze wallt in mir, mir selbsten unergründt!

Ach höhr um Jesus, höhr, bis es genade findt!

Behertze mir mein hertz mit Jesus hertz und sinn,

Bis deine heilikeit recht meinem hertzen inn,

Dann ist mein Schöpffer stets sein End und Anbeginn.


4.

Ich bin, gerechter Gott, verfallen von Natur:

Es stekkt in allem noch di höllsche Schlangenspur.

Ward Lucifer verböst, da gäntzlich nichts verderbt,

Wi nun ein armer Mensch, dem Sünd ist angeerbt?

Drum neig ich gantz mein hertz in Jesus hertzenstif,

Nach dem des Schächers hertz am kreutze hefftig grif;

Dann trau ich, sonsten ni, wann ihm mein Jesus rif.


5.

Nur Hoffart wohnt im hertz. Jehovah, nihm si weg!

Führ von der Hof-art es auf Jesus schmalen steg![305]

Es trutzt ein Hertz gar leicht, weil es unendlich trutz.

Komm, Vater, nidre es! Di demutt ist ihm nutz.

Ach wende mir mein hertz nach Jesu demuttart!

Das wahre Nidrikeit ihm ewigst sein gepaart!

Dann trau ich ihm so vil, so vil es nidrig ward!


6.

Geitz wurtzelt durch das hertz. O Jesus, sei mein schirm!

Ach schlage tapffer ab di höllsche geitzesstürm!

Es rafft ein hertz gern vil, weil es unendlich rafft.

Gelassner Jesus, hilf! gib ihm Gelassenschafft!

Durcharme mir mein hertz zum ärmsten ohne harm,

Das es in armutt reich, in kältster kälte warm!

Dann trau ich ihm so vil, als es im Reichthum arm.


7.

Neid nistelt sich ins hertz. Herr Tsebaoth, vertreib,

Das heilge Libe mir höchstfruchtbar nur bekleib!

O bitter ding ein hertz, das ewig sich auffrisst!

Verbittre stets mein hertz, bis es sich libesüsst!

Betrüb es immermehr, imehr es libe trübt!

O schenk ihm Jesusquell, der ewig libe gibt!

Dann trau ich ihm sovil, sovil es Jesum libt.


8.

Zorn brennet aus dem hertz. Mein Vater, lesch di flamm!

Di Sanfftmutt leit es sanfft zu seinem göttlichstamm!

Es zörnt ein hertz geschwind, weil ewig Zorn im grund!

Ach schenke mir dein hertz, das mir mein hertz ni kund!

Drum geh aus meinem hertz der Heilge Geist hervor!

Dein hertz durchhertz mein hertz! es komm dadurch empor!

Dann trau ich ihm so vil, als es beim Jesuscohr.


9.

Nur falschheit wächst im hertz. Dreieinger, klähr es klahr!

Di warheit klähr es dir! gebähr es wider wahr!

Das hertze, wann es falsch, fälscht ewig seine frucht.

Dreieinige mein hertz, bis es di Warheit sucht.

Drum neig ich mich in dich, der du dich warheit his!

O bringe mir mein hertz ins erste Paradis!

Dann ist dein heiliges im hertzen hertzgewis.


10.

Mein hertze ist unrein! Unrein sind seine Werk!

Unrein sein gantzes gantz! unrein ist seine stärk![306]

Unrein sein ides thun! unrein sein ides Wort!

Unreiner wird es stets von idem Mensch und Ort.

Mein Gott, ich komm zu dir! Höhr, Vater, was ich bitt!

Ich opffre dir mein hertz! Regire schritt und tritt!

Dein gutt macht gutt mein hertz! durch dich ist seine gütt!


11.

Mein hertze klebt dir an, aus deinem hertz erlabt!

Unendlich, wi du bist! Unendlich dir begabt!

Das gutt ist dein, nicht sein! Du läuterst alle Welt!

Du schlägst durch meine lipp, das tausend schon zerschellt:

Du pflantzst durch mich, nicht ich, der Lilgenrosenblum!

Du wohnst und thronst in mir! du baust dein Heiligthum!

Gott Vater, Sohn und Geist! Dein waristwird der ruhm!

Quelle:
Quirinus Kuhlmann: Kühlpsalter, Band 1 (Buch 1–4), Tübingen 1971, S. 304-307.
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