Der 9. (39. 114.) Kühlpsalm

[307] Als er in dem 6 Gerichte, ausser Ostens und Nordens mittelung, nicht Noachs 8. Eliens 7000 übrig aus der 25 jährigen Figur Rothens, Tannekens, Höllgrafs sehend, voller ernst um Ost- und Nordensankunfft, und ein allgemeines Pardon zur abwendung des allgemeinen bannes, vor gutte und böse ruffte, in Amsterdam den 18. 19 Mai 1685.


1.

Mein Gott, mein Gott! Wi ist dein Wort erfüllt,

Das nimand seelig würd, wo nicht di zeit verkürtzet!

Warhafftig ist, was du zu Drabitz sprachest,

Weil Noachs Acht in der Figur nicht übrig!

Warhafftig ist, das alle Welt im bann,

Wo nicht dein Ost und Nord si wider temperirte!

Warhafftig ist di Sündflutt diser zeit,

Ob gutt und böse sind in ihrem tünkel trunken!

Drum fall ich dir zu fus um Jesu Christs verdinst!

Ach wende deinen Zorn in eil durch Ost und Norden!


2.

Mein Gott, mein Gott! Sih doch dein Knechtchen an!

Komm eilends mir zur hülff, das ich dis Volk bekehre!

Lass mich den Drach in see und Erden binden,

Der mir dein Volk durch seinen trug vergifftet![307]

Vergib, vergib nun auch zum virdten mahl,

Das ich di Kühlzeit recht nach den vir Winden dünge!

Dein Heilger Geist erhalte nun sein Reich!

Vertausendfältige di kräffte deiner Wunder!

Lass mich im glauben ernst anschlagen auf den Fels,

Das ich recht Christi Sohn dir ni, wi Moses, wanke!


3.

Mein Gott, mein Gott! Es ist di glokke Eilf!

Las mich di gantze Welt zu deinem Weinberg ruffen!

Obschon der Kain, der Akkerman, verfallen!

Ob Levi gleich bemüht mit fünff der Ochsen!

Ob Rom und Pabst di Eh zum Weh verstrikkt!

Doch sind der strassen vil, noch mehr der Müssigsteher,

Di nimals noch geladen zu dem Fest!

Di Zäun und Krüppel sind in übergrosser menge!

Las dise letzten mir an deiner letzten Stund

Di allerersten sein in einfalt wahren Glaubens!


4.

Ich habe dich nach deinem wunsch erhöhrt!

Was du vor mir begehrst, dis hab ich dir gegeben!

Mein weisser Falk sitzt dir auf deiner schulter,

Der alle macht der höllen wird zerstreuen.

Kein Ungeheur vermag vor ihm bestehn!

Es mus der Drache selbst mit allen hörnern sinken!

Sein sibenkopff kan weiter helfen nichts,

Ob weh di gantze Welt erfüllt vom Ost bis Westen!

Ob ihre Missethat fast hat mehr end noch zil.

Doch hab ich dich erwählt zum Printzen meiner Gnaden.


5.

Ein einger Hirt, ein einger schaffstahl sei

Vom Morgen bis zum West kreutzweise durch di Erden!

Di zwölfte stund erscheine mehr an früchten,

Als alle eilf vom anbeginn gewesen!

Ob alle Welt gefunden leer vom gutt!

Doch lerne alle Welt noch meine letzte gütte.

Ob alle Welt recht meinen blitz verdint,

Das nicht ein stein verblib auf einem andern stehen!

Doch hab ich dir geschenkt aus gnaden alle Welt,

Das ich vil tausendmahl noch lichter si anstrahle.
[308]

6.

Ich habe dich mit einer kron verehrt,

Dergleichen kein Geschöpff auf ewig noch besessen!

Di Menschen sind in ihrem sinn verwirret,

Di meine macht nach der vernunfft abrechnen!

Si sehen nicht unendlich meine tiff,

Di an Geschöpffen sich nur endlich offenbahret!

Allein mein hertz bricht mir um mein Geschöpff,

Das meine weisse wolk noch freudigst regenboget!

Ob schon mein Sechsgericht ist meiner Sündflutt gleich:

Doch minder ich di straff im mitten meiner straffen.


7.

Mein Gott, mein Gott! Schau meine Trübsal an!

Ich sehe um und um nichts als nur lauter wasser!

Ob Ost und Nord mit mir zu schiffe gehen,

Und gros dein werk, das täglich mir vorlauffet!

Doch stehe ich mit Ost und Nord in Noth,

Bis an den gürtel recht in hauptgefahr und wellen.

Ich weist nicht mehr vor meiner nässe rath,

Mit der mein Weis und Blau so häuffig wird gefeuchtet.

Di flutten steigen hoch! Mein Schif zeucht mehr und mehr!

Das es di höchste zeit in grösser eil zufahren.


8.

Mein Gott, mein Gott! Gefahr wächst an dem Port,

Das Ost und Nord mit mir am Ufer meist in Ohnmacht!

Der Babelsfels ward ungeschikkt zerfället!

Es hat mein Volk verworffen deinen Ekkstein!

Ob alle sind Baumeister meines grunds,

Di gegen Babels Reich arbeiten aller orten:

Doch sind si selbst unwissend ihres werks,

Und wolten Bäume sein, da si nur waren äste.

Di glider scheiden sich so stoltz von ihrem Haupt,

Das si Egypten sind im ausgang aus Egypten.


9.

Mein Gott, mein Gott! Komm eilends mir zur hülf!

Des grossen Berges fall in deiner Rach ist kommen!

Nun er empfindt das fünffe meiner Monden,

Und Trübsal ihm das Ost und Nord anzeiget:

So schlägt er ab im sturm aufs wilde Meer,[309]

Darauf ich elend schweb in dem zerritzten Schiffe!

Eh Ost und Nord mit seinen kräfften kommt,

So ist zum euserstem di grosse Trübsal worden.

Erfülle selbsten nun, was du mir zugesagt,

Das ich mit Ost und Nord vom Ost und Nord errettet!


10.

Hab ich nicht dich von tag zu tag umstrahlt?

Ist meine Weisheit nicht selbst in dein hertz geschriben?

Du lernest ja di Ursach des geheimnüs,

Wi ider sich durch sich, nicht mich, verleühret?

Was ich von dir durch meine Boten zeug,

Dis geb ich selber dir voll wesenheit im innerm.

Du sihest nun, das nicht ein wort umsonst,

Ob der nicht meinen schlus, dem ich befahl, erfüllte!

Du sihest täglich ja, was noch kein Mensch ersah,

Und kennst, das einem nur di Zehnzahl könne werden!


11.

Ich rede nicht mit dir durch ein gesicht,

Ob ich durch andre dir durch di gesichter rede!

Was du empfängst, sind wesentliche Wunder,

Di ewigst sich aus meinem wesen klähren.

Du sihest ja der beiden Zeugen zahl,

Warum si sind besigt, nachdem ihr zeugnis endet!

Was di Christin durch einfalt überwand,

Stund auch dem Drabitz vor, wann er ihr wär gefolget!

Geschah am letztem nicht, was alle Zeugen rächt?

Mus nicht verduppelt dis das Thir auf Erden treffen?


12.

Was ist noch dir in meinem Ruf geschehn,

Dem du zu meiner zeit nicht freudigst nachgeschauet?

Ist nicht di schuld an meinen Menschenkindern?

Geschiht es nicht den Völkern zu dem Zeugnis?

Welch Zustand naht, eh noch mein nahen naht,

Weil eure freiheit ist im kleinstem ni benommen?

Dann greiff ich ein, wann euer zil am zil!

Wi schnell geht zu mein werk, wann meine stund erschinen?

Drum sei, mein Sohn, getrost, ob dich dein Fleisch was drukkt!

Gehorch einfältiglich. Was ist doch mehr mein fodern?

Quelle:
Quirinus Kuhlmann: Kühlpsalter, Band 2 (Buch 5–8 u. Paralipomena), Tübingen 1971, S. 307-310.
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