Der 14. (74.) Kühlpsalm

[70] Als er seine Islingtonische Ausstossung und verrathung der Römisch-Egyptisch-Jerusalemschen reise, in dem grossem Centrum bespigelte, als einen untergang seiner Brüder und Aufgang Romes; um hertzinnigliche Aussöhnung im wahrem Libesgeiste gesungen zu Paris den 19 Septemb. 1681.


1.

Erbarme dich, Herr Jesus, meiner Brüder,

Di dir und mir gefährlichst sind zuwider!

Si wissen nicht, was si uns thun,

In was vor lib und geist si ruhn.

Erbarme dich um dein erbarmen:

Verzeihe den verlohrnen Armen.

Si haben sich in eigenheit verstrikkt,

Und meinen sich mit deiner lib umglükkt.

Erbarm, erbarm, erbarm im zeichen aller zeichen!

Las si im Centrum nicht, wi si verschuldt, erbleichen.


2.

Behalte ni, mein Vater, ihr behalten,

Und wi so falsch si deinen eifer schalten!

Wi Satanas durch si gelaurt,

Das haut und sinn und geist mir schaurt.

Si wolten Gott nach sich regiren,

Und Gottesweg in sinne führen.

Dein dunkel ist weit über Menschbegrif,

Und recht ein stein, auf den man blindlings lif.

Vor deinem dunkel mag selbst Moses nicht bestehen;

Johann der Täufer mus gelassen hir nachgehen.


3.

Si sahen nichts in ihrem vollem sehen,

Und wolten doch mit Weisheit sich aufblähen.

Drum hatte Satan volle macht,

Das si so plötzlich unterbracht.

Dein heilges feur his aberglauben:

Si wolten dir di ehre rauben.

Um dein Gericht ward ihr Gericht erwekkt,

Bis lästerung von Feinden angestekkt.

Dein heilges feuerlicht und lichte feuerflamme

Ist ihnen finsternis und ihres irthums amme.
[71]

4.

Ach zörne nicht, mein Gott, um A.L.L.E.S. reitzen,

Dardurch si recht nun wären auszuweitzen!

Was ist ein Mensch? was ist sein werk?

Ach brauche ni di feuersstärk.

Si hättens wohl mit ernst verdinet:

Si würden ach nun all entgrünet.

Di bosheit ist uns allen angeerbt:

Wir sind weit mehr, als man gedenkt, verderbt.

Vergib, Jehovah, Ach, um Jesus deinen kindern!

Ach stosse si nicht weg mit Sodoms groben sündern!


5.

Gedenke nicht, mein Vater, dessen greuel,

Der Menschen ist, geschweige dir, ein scheuel,

Das heimlikeit geoffenbahrt,

Ja selbst dein Rath verrathen ward.

Man hat ach solches nicht verstanden,

Gebunden in des Satans banden:

Geärgert hoch, weil A.L.L.E.S. unbewährt,

Dem augenschein nur gäntzlich umgekehrt.

Verbirg, Jehovah, dis mit Jesus bitterm leiden:

Gedenke nur des gutts um Jesus Kreutzabscheiden.


Zweiter Theil,

Als er di schrekkliche verwegenheit Badhors in beraubung des hauses der Prophetin Wentwortin, zu trutz des Werkes Gottes, gleich anhöhrte, am 1 Sept. nach seiner Londnischen ausreise vorgefallen; um auszusöhnen dise beleidigung verletzter göttlicher Majestät, in ansehung aller der unfälle, diser 42 und 49 Monden im saat, gleich angestimmet zu Paris am 2 Oct. 1681.


1. 6.

Erbarme dich, Herr Jesus! Mir wird bange!

Erbarme dich! Geschiht dis zum Anfange!

Ach gantz verblendt, verrennt, verkappt!

Vom Satan schädlichst übertrappt!

Erbarme dich um deine Wunden!

Um alles leiden, das empfunden!

Eröffne noch, ists möglich, Aug und sinn![72]

Las sehen si, was dise lib halt inn!

Erbarm, erbarm, erbarm, eh mich dein feur anzihet!

Erschrekklichst wären si um ihre schuld verglühet.


2. 7.

Weh, Freunde, weh! welch frevel wird begonnen?

Traurt, traurt und traurt, eh alle lib entronnen.

Es ist kein Spil des Centrums art,

Das weh strakks voller wesen paart.

Sehr langsam ist es zuentzünden:

Dann kan es auch kein ende finden.

Ich fürchte mich ob seiner feuersmacht,

Di fast und fast im feuer aufgewacht.

Weh, Freunde, weh und weh! wann mich dis feur umschattet,

So hat euch ewig schmertz im augenblikk begattet.


3. 8.

Jehovah, ah! Ich bin vor dir unschuldig!

Si zörnen noch, das ich, wi du, geduldig!

Ihr reitzen reitzt mir deinen Ernst!

Du bist, nicht ich, der si auskernst!

Jehovah, Ah! Dein Feurerscheinen

Ists höchstgerecht, doch bringt mirs weinen!

Was ist der staub, der gegen dich sich lehnt?

Der dich und mich und deinen Christum höhnt?

Jehovah, starker Gott! Du hast mich selbst erwählet!

Es ist dein heiligs Werk, nicht meins, daran man fehlet.


4. 9.

Elende, klagt! Jehovah wird strakks weisen,

Was ihr genannt mit leeren worten speisen!

Ich wünschte, das der Kelch von Euch!

Wem werdt ihr plötzlich werden gleich?

Ist nicht mein Gott, der mich erhöhret?

Der mich selbst rif? der mich gelehret?

Ihr zogt mich vor dem weisen Salomon:

Ihr gabet mir fast der Propheten thron.

Bin ich der Gottesmann? Das Centrum der Propheten?

Was reitzt Elien dort? Seht, Frevler, in was nöthen.


5. 10.

Ich falle dir, Herr Jesus, zu den füssen!

O las si nicht, wi si verdinet, büssen!

Gib ni den geistern platz und raum[73]

In Lichtsgestalt zum Libestraum!

Es würden sonst, mein Gott, verlohren,

Di doch von dir sind auserkohren.

Si kennen nicht, das Moses Petrisirt,

Und das Johann Eliens feur heut führt.

Erbarm, Herr Jesus, dich und las si dis erkennen,

Eh du den zorn abkühlst an ihrem Rachverbrennen.


Dritter Theil,

In vorsehung unmöglicher abwendung des feuergerichtes über den unseeligen Korahshauffen; und erwartung völliger anzündung; aus innerer bewegung zu Paris am 11 October 1681. zum ewigem zeugnisse Christi und seiner unschuld; 42 und 49 Monden vor dem Ernstwesen 1685.


11. 1.

Erbarmt euch eur, O Freund, um eurentwillen!

Ich weist nicht mehr, was ihr erwekkt, zustillen.

Lernt, was nun sei di Morgenstimm!

Erfahrt, erfahrt den Nordengrimm!

Ihr habt nicht mich, nur Gott, vertreten!

Ihr wollt nicht mich, nur Gott, ausjäten!

Ihr zeugtet hoch und mehrt mir joch und qual!

Eur lästern wuchs nur täglich ohne zahl.

Erbarmt, erbarmt, erbarmt, Elende, endlich euer!

Fallt noch zu füssen, fallt im feuer aller feuer!


12. 2.

Eur obstand ist unmöglichst zuverhöhlen!

Es mus geschehn um Millionen Seelen!

Um Lucifern, der euch betreugt,

Und Jesu Reich durch euch verbeugt!

Es ist nicht klein, Gott widerbellen,

Und sich vor Gott gewaffnet stellen.

Der Frevel wird in Gottes Langmutt fett,

Das Gott mit Recht nun Mosen widerrett.

Weit besser Korahs rott auf ewig ni gebohren,

Als also heilig sein und seinen Gott verlohren.


13. 3.

Wi werd ich nicht gewaltsamglich besprungen?

So hoch gezwängt, bis Gottes Rach erzwungen?[74]

Man schreibt mir zu so vilerhand!

Des Henochs, Josephs, Mosesstand:

Das Josuens und Davidssigen!

Des Salomons, Eliensrügen!

Elisens Geist, ein Danielisirn,

Und was di beid Johannes göttlich führn!

Wann ich mich wil zur ruh aufs allerheimste legen,

Dann wollen A.L.L.E. mich, ich weist nicht wi, abwägen.


14. 4.

Wol an, eur wort verbleibe unser Richter!

O Gott, erfüll ernst beiderlei gesichter!

Bekräfftige mit krafft mein Amt,

Und richte selbst uns A.L.L.E. samt!

Las meine Seelgefahr was gelten!

Du wirst des Satans zeugnis schelten.

Printz Jesu Christ, der du vor mich versucht!

Verstumm di höll, di ewigst ist verflucht.

Mein Jesu, sprich aus mir, was du aus mir wilst sprechen:

Mein Jesus, es ist dein! Du wirst dis schwächen rächen.


15. 5.

Fahrt, Freunde, fort, das völligst angezündet!

Was suchet ihr? Es mus recht sein begründet.

Ihr sehet nichts! Greifft, greifft zur sach!

Geht trutzig fort voll gegenrach!

Eilt, fünffe, eilt zugleich zustürmen!

Was solte doch uns krafftbeschirmen?

Ja, ja! kommt an! Eur müttlein sei gekühlt!

Mit Sion sei nach hertzenslust gespilt.

Bei Gottes kampffe sollt ihr Gottes Kühlmann merken:

Jehovah, der mich rif, der wird stat meiner werken.


[75] Jesuelischer Nachklang,

An Christen und Unchristen, Brüder und Schwestern, Freunde und Feinde, erleuchtete und unerleuchtete zur Warnung und unterscheidung heutiger zeit.


Seht, Gottes Lamm, das bisher trug di Sünden,

Wil als ein Löw den Frevlern sich einfinden!

Sein Wundenfünff, das unser heil,

Wird aller Welt ein Donnerkeil.

Di Vorbitt an dem Kreutzesstamme

Wird Christi Feinden zorn und flamme.

Er stösset weg, di ihn bisher verschmäht,

Und klagt si an verletzter Majestät.

Der Löw trug als ein Lamm di Welt auf seinem rükken:

Das Lamm wil als ein Löw di Welt nun unterdrükken.

Quelle:
Quirinus Kuhlmann: Kühlpsalter, Band 2 (Buch 5–8 u. Paralipomena), Tübingen 1971, S. 70-76.
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