Der 11. (86.) Kühlpsalm

[141] Als er auf der Jerusalemschen Reise, über seinem Weisblauen wi verkettet, Teutschland, Holland, Engelland, Frankreich, Schweitz auf ihn wesentlich anzustürmen, nach seinem 1674 Leidnergesichte, klahr vorsahe; unter Gottesschutz, im geiste schon bei Alexandrien, triumfgesungen den 12 Aug. 1682.


1.

Grosser Vater! Welche rügung?

Was vor unverhoffte fügung?

Wi wird alles angezündt?

Allen sinnen unergründt?

Wi wird alles angekettet?

Doch wir sind durch dich gerettet.

Es ist nur dein Libesspil!

Du verkühlest ihre Kühl.

Du machst alle Welt erfahren,

Wi wir dir geführet waren.


2.

Erd und Himmel musten bilden

Unsers zustands hauptverwilden,

Als aus Edenburg ich eilt,

Als ich nach dem Genf gepfeilt,

Als ich nach Losann gezogen,

Als ich unter Meereswogen.

Wi ich alles überwand,

Weil ich bin von dir gesand:

So wird gleichfals nun geschehen,

Und verherrlichet mein flehen.
[141]

3.

Wi di stunden zubeschauen

Di Jerusalemschen Auen

Um der Christen Hauptfigur,

Das si kennten Gottesspur

Auf den höchstgeheimsten wegen;

Wolte Satan alls erregen,

Stürtzte auf mich lauter grimm,

Durch so manche falsche stimm;

Sät aus schändlich ohn erröthen

Das geticht der Zweipropheten.


4.

Fing der Wind nicht anzusausen,

Und das Meer sehrstark zubrausen,

Als ich Jordans Reis vornahm,

Und nach Rotterdam ankam?

Wolten nicht Jamaicens wellen

Unsren Freund und Schrifften fällen?

Was vor aller seltnes leid

Auf des Harlems Fahrlustscheut!

Ward ich nicht nach sechs der tagen

Amsterdam neu zugeschlagen?


5.

Als di zehen Mond verflossen,

Di mit Elend uns begossen,

Di den gantzen Kreis erschrekkt,

Und mit zeichen ihn bedekkt,

Hat uns London wohl empfangen

Nach vilsehnlichem verlangen:

Islington uns höchsterquikkt,

Und aufs neu uns aufgeschmükkt,

Das wir halb schon neubegeistert

Unsern Erbfeind übermeistert.


6.

Wi Jerusalem gelüstet,

Wi dar zu wir ausgerüstet

Nach des höchsten wundergang,

W..rd es unser Probanfang.

Satan ist, der uns darf hemmen,

Überhöllisch überschwemmen,[142]

Reitzet alles so durchwirrt,

Das mein London wi verirrt;

Doch ich achte nicht sein schnauben,

Geh zur reise voller glauben.


7.

Als um eilf uhr wir ausflihen

Um das zwölfe zu vollzihen,

Bitten wir den Feinden trutz

Unter unsers Gottes schutz.

Schrekken uns in Dover wetter?

Unser Heiland ist Erretter,

Das nach fünffer uhren schlag

Calais uns zum dritten pflag;

Das Paris um Eilf erreichet,

Und recht unser führung gleichet.


8.

Wi ist nicht di Lilg begegnet?

Worden wir nicht bald gesegnet?

Welch annehmlichs Lilgenruch

Durch des Lilgenblates bruch?

Ward nicht Josephs segen offen

Durch der fetten Tauerd hoffen?

Ward nicht überprächtig kund,

Was versprochen Noachs Mund,

Was zum Ehrenreich gehöhret,

Welches ewig unzerstöhret?


9.

Wunderlich hat Gott geleitet,

Und uns nach dem Genf begleitet:

Doch des Satans höllentükk

Sätzte Jordans Reis zurükk.

Wi Losann Hosann verkürtzet,

Wi Hosann Losann gestürtzet,

Knallten grause donnerknall,

Und erwekkten manchen fall.

Hauptgefahr di lehrte schreien

Um ein göttliches befrei(u)en.


10.

Ehe noch di klag vollendet,

Ward di hülfhand schon gesendet,[143]

Wi frühmorgens mir gezeigt,

Das vor Genf mein hertz gebeugt.

Drauf begehrt ich auszuharren

Unter Basans fetten Farren,

Hochgetrost auf Gottesstärk,

Und sein heilges Kühlungswerk.

Alles ist durch Gott gelungen,

Das erwünscht ich durchgedrungen.


Zweiter Theil,

An der Jerusalemschen Geistreise bereits an Alexandrien, am 13 und 18 Aug. 1682. darauf er gleich höhrte verwundernd von der Genffer-einwikkelung mit Frankreich durch einen

Genffer, oder der Calvinisten fall zum Pabstthum durch der Calvinisten selbstabfall.


11.

1.

Als uns Gott in Genff ergetzet,

Und uns auf den Leuchter sätzet

Unter unbekandter art,

Das wir Fürsten gleichgepaart,

Und sein Licht der Geistesgaben

Ohn Vorurtheil ward erhaben,

Brauchte Satan tausend trug

Sonder einig Recht und fug

Jordans Reise zuverhindern,

Ja, uns gantz und gar zumindern.


12. 2.

Wi wir zum Eliasfeuer

Foderten all ungeheuer,

Unerträglich höchstbedrängt,

In den Freunden gantzversengt,

An dem gutten Ruf beflekket,

Mit hauptlastern überdekket,

Mit verleumdung angefüllt,

Und ins Henkerkleid gehüllt,

Worden von dem zorn ergriffen,

Di noch unter larven liffen.
[144]

13. 3.

Als uns Geister rükkwarts ruffen

Durch sehrseltne Prüfungsstuffen;

Als von Zäubern alles voll,

Von besessnen alles voll,

Vil zum Geisterschertz ersunken,

Vil von falscher Libe trunken,

Vil vom Eigentrug verkehrt,

Vil von Phantasi beschwert,

Wird di Jordans Reis verschoben,

Und durch umweg angehoben.


14. 4.

Wi hat alles nicht gestritten?

Alle regeln überschritten?

Was Vorbilder mannigfalt?

Doch ich traut auf Gottsgewalt.

Ich ersank in Gottes Libe;

Schätzte nichts das ungelükktrübe,

Wuchs und wuchs in grösserm raum

Aus dem kern im altem Baum,

Weil mich Jesus selbst gepflantzet,

Und mit seinem arm umschantzet.


15. 5.

Als Paris durch Satan stürmet,

Blib ich doch in Gott beschirmet,

Weil ich sank in Christi schos

Unter seinem kreutze blos.

Ich hilt Christi Marterwochen,

Ward mit Christo gantz zerbrochen,

Bis er mich mit sich aufnahm,

Das ich mit ihm sigend kam.

Wi mit Christo war mein Leiden:

So fuhr ich mit Christ zun freuden.


16. 6.

O Losann, mein Saltz und wesen,

Das zum zehndem L erlesen!

Als zum zweiten ich dich sah,

Ward mir Christi Kreutz schon nah.

Als zum dritten ich durcheilte,

Und sehrkurtz in dir verweilte,[145]

Von der harte stunde bang,

Lif ich in des Jägers fang.

Genf, mit fünff durch Gott beglükket,

Ward zum dritten angeblikket.


17. 7.

Göttlichs wunder grosser wunder!

Göttlich funk im irrdschem zunder!

Wi werd ich aus dir entrührt?

Drum ward ALLS im Mai vollführt!

Drum hat drauf di Erd erschüttert,

Das Losann und Genf gezittert,

Eh der fünffte Tag zum end!

Vater, es sind deine händ!

Drum ist das Paris erschrokken!

Drum erschallten B.A.S.E.L.S. glokken!


18. 8.

Drum ward Weis und Blau di kleidung,

Von dem trauerschwartz di scheidung,

Di ich voller wonn zulis,

Wi Gott längst Kotteren wis.

Als aus Gold und Silber blaute,

Weil des Josephs segen traute,

Ging mein Geist mit gleicher zahl

In dem Paradischem strahl.

Mein auswendiges weissagte,

Was di gantze Hölle nagte!


19. 9.

Wunderbar ist alls entsprossen,

Als zugleich in Genf beschlossen

Der zwölfjahre wunderlauf,

Weil alls wesentlich ging auf.

Was verknüpffet miteinander

Von dem Cyrus, Alexander,

Constantin, Carl, Fridereich,

Das beschlos sich Alles gleich.

Cäsars traum in Gadesländern

Wolt in Genf mir dreifach endern.


20. 10.

Alles mein figurlich weisen

Aller Länder, Städte, reisen,[146]

Ging in wesentliche frucht,

Di in A.L.L.E.S. längst gesucht.

War mein Sigelring gebliben

In des Galatens betrüben,

So ward mit dem fünfftem Jahr

An dem Tag ein demant dar.

Unverhofft hats Gott erwekket,

Das er mir ward angestekket.


Dritter Theil,

Unter dem Genffischem fünffachen Freudenschüssen wegen des gebohrnen Frantzösischen 16 Ludewig, und der dreien Genffer weitaussehende zerschmetterung, durch des Stükkes, Pantoffels, zersprengung, im Geiste bereits in Alexandrien in Egypten den 19 Augustus 1682.


21. 1.

Libster Vater! Als mein blühen

Alles Genf nach sich wolt zihen,

Und gleich siben Monden aus,

Fil des Satans sturm ins haus,

Ohne Recht, Gewissen, Wissen:

WEIS und BLAU wird hingerissen,

Das Genf spilte di Figur

Recht der Babylonschen Huhr.

Joseph ward sein Rokk entzogen,

Den ihm Gott gab huldgewogen.


22. 2.

Als vollbracht dis spil der Höllen

Mit mir um den Reisgesellen

Der am Abend vor vertraut,

Lis ihn Vater, Mutter, Braut,

Um di alles hergeflossen

Durch betrug der Hausgenossen.

Dise spilten mit di roll

Von dem zorne Gottes voll.

Wer aus Babels Kelch getrunken,

Ist mit Babel recht gesunken.
[147]

23. 3.

Wi wir änger eingeärkert,

Und im Pristerhaus verkerkert,

Das ja nichts zu Babel fehl,

Und sich Babel recht vermähl,

Worden wir vorn Rath gefodert,

Das mein Geist in Gott entlodert.

Man hat sich genug gegrämt,

Und ward Rath und Stadt beschämt,

Das man fremde so abhandel,

Di in Pristers haus und wandel.


24. 4.

Als nun solt um Stadt und Tempel

Sein gezeigt ein Scheinexempel;

Als di stund zum Recht bestimmt,

Seht, wi Satans funk entglimmt.

Aus Paris kam Judastükke,

Um zuschenken Christus glükke,

Das zum Kühlmann ich verklährt,

Und mit Kohlmannsschwartz beschwert.

Ob mein sibenmonde zeuget,

Wird doch alles Recht verbeuget.


25. 5.

War vor Josephs Beispil tunkel?

Nun wird es der Weltkarfunkel.

Seht wi Rath und Stadt mitlaufft,

Bis ich nach Alcair verkaufft!

Salomon trug nur fürbilde:

Kühlmann hat des wesens schilde.

Drum ward Salomon befreit,

Als annahte Kühlmannszeit.

Was vom Kaiserstein entlehnet,

Wird als Kühlmann gantz gekrönet.


26. 6.

Als dein Haus, Calvin, verräthet,

Was noch Salomon ausjätet,

Wird auf deinem Teutschem grund

Kühlmanns sibne schale kund:[148]

Welche recht, wi Korn, auswächset,

Und nach Edens Kühlzeit lächset,

Weil mit Jesu si erstarb,

Und so sein vollbracht erwarb.

Si wird deine lehr entgifften,

Und dein Korn von spreiern sifften.


27. 7.

Warstdu nicht, Calvin, beweget,

Innereuserlich erreget,

Bis ich freudigst mit dir ging,

Als dein haus mich erst empfing?

Sangst du nicht mit deinen Psalmen

Mir bald zu des Davids psalmen,

Als ich in di Kirch einst kam,

Welches ich mit wonn vernahm?

Freilichst wil mich Alls umringen:

Selbst dein mund sang vom gelingen.


28. 8.

Wi du sehend nichts ergriffest,

Im erdbeben gäntzlich schliffest,

Aus dem wagen kläglich stürtzst,

Dich zum Kerkermeister schürtzst:

So wils nun im wesen gehen,

Das du kanst nichts mehr verstehen,

Ob hir mehr als nur ein Fürst,

Das du stets betrauren wirst.

Moses und Elias flammen

Bringet David heut zusammen.


29. 9.

Drum ist, Genff, dein heil zerronnen:

Gotteseifer angesponnen.

Sihstdu schon was ungemach?

Frankreich rächet Gottessach.

Schaden dir schon Donnerwetter?

Jesus thuts, der mein Erretter.

Nimmt dir Frankreich Kirchen itz?

Du schändst Kirchen mit geschütz.

Gott wird dich gewaltsam läutern,

Und mein Weisblau recht erweitern.
[149]

30. 10.

Grosser Vater! Mein beschirmer!

Schau nun Fünffe der bestürmer.

Teutschland, Holland, Engelland,

Frankreich, Schweitz kommt angerannt!

Weiss und blaue mich mit stärke!

Las si schauen deine Werke!

Komm in deiner Majestät!

Weise, das si dich verschmäht!

So wird alle Welt verlohren,

Wann dir alle welt gebohren.

Quelle:
Quirinus Kuhlmann: Kühlpsalter, Band 2 (Buch 5–8 u. Paralipomena), Tübingen 1971, S. 141-150.
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