Ärntegebräuche.

[337] In der Gegend des ehmaligen Klosters Diesdorf hat man bei der Ärnte diesen Gebrauch. Während der ganzen Roggenärnte bleibt auf jedem Ackerstück ein Büschel Ähren stehen, welches der Vergodendeels Struuß heißt; wenn dann alles abgemäht ist, zieht man mit Musik und geschmückt aufs Feld und umbindet dieses Büschel mit einem bunten Bande, darauf springt man darüber fort und tanzt herum. Zuletzt durchschneidet es der Vormäher mit der Sense und wirft es zu den übrigen Garben. So geht es von einem Ackerstück zum andern, und zuletzt zieht man unter dem Gesange: »Nun danket alle Gott« wieder ins Dorf, und hier von Hof zu Hof, wo der unten folgende Ärntespruch hergesagt wird. Abends ist dann Tanz und zwar alljährlich auf[337] einem andern Hofe. – In Rohrberg läutete ehmals der Schulze die Ärnte ein, und zwar durfte niemand eher mähen, als bis der Schulzenknecht den ersten Schnitt gethan hatte. – Der Name dieses Ärntefestes ist Vergodendeel, den man als Vergütigung für die schwere Ärntearbeit bezeichnet. Er findet sich auch bei einigen der angränzenden ehmals wendischen Dörfer, so z.B. zu Lübbow, doch bei den meisten nennt man das in der bloßen Kranzbringung bestehende Fest wie in der übrigen Altmark Sekelbier.


Der Äerntespruch lautet:

Guten Abend ins Haus, Glück ins Haus. Unglück zum Gäbel heraus! Hier komm ich mit Maiers und Binders zu Haus; hier bring ich einen Strauß; hier bring ich die Früchte von dieser Ärnt und den Segen von dieses Jahr, den uns der Herr geschenket hat durch seine milde Vaterhand, und wir ihm dafür sollen danken, ist uns allen wohlbekannt. Er wird uns ferner geben Gesundheit, Friede und Ruh, und nach diesem Leben die Seligkeit dazu. Was soll ich denn nun fangen an mit allen, die hier um mich stahn, Frauens, Junfern, groß und klein? So bitt ich euch, ihr Herren mein, ihr mögt ein wenig stille sein, und nicht darüber lachen, so ich meinen Spruch nicht recht würde machen; denn gestern Abend, als ich wollte studiren, da thäten mich die Junfern vexiren, da ging ich bei ihnen in die Kammer und habe die ganze Nacht in die Kammer gesessen und habe mein Studieren dadurch ganz und gar vergessen. Hier bei diesem[338] Spruch tret ich her in des Herren Haus und bringe einen Aerntestrauß; der ist gewachsen auf der Frau und Herrn ihren Acker.


Dieser Strauß ist nicht von Distel und Dorn,

sondern von ein reines Winterkorn.

Ich wünsche: so manchen Ahr,

so manches gute Jahr;

so manchen Korn,

so viel Wispeln auf den Herrn und die Frau ihren Boden.


Diesen Strauß haben die Junfern oder Binders gemacht; dafür hab ich sie auch bedacht mit einem jungen Gesellen von achtzehn Jahren, mit gelbe krause Haare, sein hübsch und behende, damit sollen sie ihr Leben vollenden.


Den Herrn wünsche ich eine goldene Kron,

und die Frau einen jungen Sohn,

und die Tochter zwei,

und die Magd drei,

das wird ein ganzes Hausgeschrei.


Hier bei diesen Spruch muß sein ein Gläschen Bier oder Wein. Haben sie kein Bier, so haben sie doch Wein; haben sie kein'n Wein, so haben sie doch Branntewein; haben sie kein Branntewein, so werde ich mit ein klein Trinkgeld auch zufrieden sein, und unsern Herrn seine Gesundheit trinken aus großer Liebe und Lust, nicht aus Hunger oder Durst, sondern aus großer Liebe und Freundlichkeit, und alle hiesigen ihre Gesundheit. So wird ein jeder Meier seinen Binder winken, und ihr auch mal zutrinken; sie werden[339] hernach mit die Maiers mal rumhinken. Wollen sie dabei eben und grade gehn, das soll in ihren Belieben stehn. Pros't gehört vor den Trunk und mit den die Binders einen Sprung, die Hühner mit den Hahn, die Frau mit den Mann, die Magd mit den Knecht, so geschieht im ganzen Hause recht. Pots tausend eins hab ich noch untermessen, ich hätte bald den Herrn Aufsetzer vergessen; denn wenn der Herr und die Frau morgen ins Feld werden spatzieren gehn, so werden sie mehr Stiegen finden liegen als stehn. Wir haben das Korn im Felde geschoren, wir haben weder Binder noch Meier verloren, wir haben den Rocken nicht abgestochen, sondern wir haben ihn abgemähet; unterdessen hat sich unsre Frau Köchin um das Feuer gedreht, wir haben den Rocken nicht aufgezogen, sondern wir haben recht rasch herum gehauet; unterdessen haben sich unsre Binders vielleicht die Lenden geklauet. Dieser Text ist nun bald zu Ende; wer noch ein Junggeselle oder Junfer ist, der klapp sich in die Hände. Dieser Text ist aus, ein jeder geh zu Haus, und stech sich ein stumpf Messer ein; es wird nach jens zum Besten sein, denn unser Herr wird uns lassen auftragen gesottnes und gebratnes Fleisch soviel, daß der Tisch beug und bricht, und Branntewein schenken soviel, daß es ein Mühlrad treibt. Hiermit will ich nun beschließen, und thu euch alle freundlich grüßen, und meinet ich den einen oder andern nicht, so wär ich kein rechtschaffner Meier nicht. Hab ich meine Worte nicht[340] recht gesprochen, so gebet mir das Fleisch und behalt ihr die Knochen; hab ichs nicht so recht gemacht, so gebt mir den Wein und behaltet ihr das Glas. Amen, Amen, Amen!


In Bonese lautet der erste Wunsch für den Herrn etwas anders:


Ich sage einen Ärntekranz,

es ist aber ein Vergutentheilskranz.

Dieser Kranz ist nicht von Disteln und Dornen,

sondern von reinem auserlesenen Winterkorne,

es sind auch viele Ähren darin;

so mannich Ahr,

so mannich gut Jahr,

so mannich Körn,

so mannich Wispeln auf den Wirth seinen Börn (Boden).


Mündlich.


In der Prignitz herrschte noch vor einigen Jahren ziemlich allgemein, und herrscht zum Theil auch jetzt noch, namentlich in der Umgegend von Lenzen und Perleberg, der folgende Gebrauch. Wenn sämmtlicher Roggen eingefahren war, ließ man auf dem Felde noch einige Garben stehn, und bildete aus diesen die Gestalt eines Mannes, die man mit allem, was sich dazu darbot und eignete, ausschmückte. Dieser Mann wurde Nachmittags auf einem vierspännigen mit Laub und Blumen geschmückten Wagen hereingeholt. Jung und alt, festlich gekleidet, folgte und Musik begleitete den Zug. War man bei den Garben, auf denen die Mannsgestalt stand, angekommen, so wurde um sie ein Kreis[341] geschlossen, und ungefähr eine halbe Stunde lang auf den Stoppeln getanzt. Sodann wurden die Garben mit dem Manne auf einen Wagen geladen und unter lautem Jubel fuhr man nach Hause. – Auch in Pommern (wo?) soll dies Fest noch bestehen, nur mit einer kleinen Verschiedenheit. Alle Mädchen müssen nämlich einen Wettlauf anstellen, und zwar ist das gemeinsame Ziel dieser Mann; die Siegerin wird die erste Tänzerin an diesem Abend. Auch in der Ukermark, z.B. in Greifenberg, bildet man eine solche Mannsgestalt aus den letzten Roggengarben und führt sie dann jubelnd ins Dorf.

In der Mittelmark findet sich derselbe Gebrauch, z.B. in Brunow bei Freienwalde, und in Tucheband im Oderbruch, doch hat er hier einen andern Charakter angenommen. Ist der Roggen nämlich abgemäht, und sollen die letzten Garben gebunden werden, so stellen sich die Binderinnen in zwei Reihen einander gegenüber, jede ihre Garbe mit dem Strohbande vor sich; auf ein gegebenes Zeichen binden alle zugleich ihre Garbe, und diejenige, welche zuletzt fertig wird, trifft nicht nur allgemeiner Spott, sondern aus ihrer Garbe wird auch die Gestalt eines Mannes gefertigt, den man »den Alten« nennt. Sie muß den Alten nun ins Dorf bis auf den Hof tragen, hier bildet man einen Kreis, die Binderin tritt mit dem Alten in die Mitte, und die übrigen tanzen um sie herum, darauf gehts zum Gutsherrn, dem der Alte mit folgenden Worten überreicht wird.


Wir bringen dem Herrn den Alten,

Bis er 'n neuen kriegt, mag er ihn behalten.
[342]

Der Alte wird darauf an einen Baum gestellt, wo er noch lange Zeit nachher zu allerlei Späßen dient.


Das eigentliche Ärntefest wird erst am Schluß der gesammten Ärnte, also gewöhnlich Anfangs November, nachdem die Kartoffeln eingebracht sind, gefeiert. Bei dieser Gelegenheit wird ein großer Kranz, der Ärntekranz, gewunden, dieser wird von der festlich gekleideten Menge, die Mädchen mit den bebänderten Harken vorauf, die Männer mit den Sensen hinterher, zum Dorf hinausgetragen und dort abgetanzt, d.h. man tanzt eine Zeitlang um denselben herum. Dann gehts zurück ins Dorf auf den Herrenhof oder das Amt, und hier wird der Ärntekranz aufgehängt, zuvor jedoch wird die Herrschaft mit den Bändern des Kranzes gebunden, wobei die Binderin den Ärntespruch sagt, und löst sich dann durch ein Stück Geld. Nachher wird bis zum andern Morgen getanzt. – Der obige Ärntespruch ist mehr oder minder übereinstimmend; hier einen aus Schönfließ in der Mittelmark zur Probe:


Ich bring dem Herrn einen Ärntekranz,

's ist alles auf und in den Band.

Hätten wir viel gewunden,

so hätten die Frauens noch mehr gebunden;

wärs besser gerathen,

so hätten wir manches mehr geladen.

Soviel Quispel, soviel Wispel;

Soviel Draspe,

Soviel Reichsthaler legt die gnädige Herrschaft in ihren Kasten.[343]

Wünsche unsre gnädige Herrschaft einen blanken Tisch

auf jede Ecke einen gebratenen Fisch,

und in die Mitte eine Kanne Wein,

Das soll die gnädige Herrschaft ihre Gesundheit sein.

Ich bin gereist nach das Land Sachsen,

wo die schönen Kränzlein wachsen,

Da heb ich mich recht wohl bedacht

und hab unsre gnädige Herrschaft einen mitgebracht

Dieser Kranz ist nicht von Disteln und Dornen,

sondern er ist von Blumen und Kornen.

Nun laßt uns von Gott freuen und fröhlich sein,

Ihr lieben Gäste, stimmet alle mit ein.


Die überall wiederkehrenden Wünsche »Soviel etc.« zeigen hin und wieder Abweichungen, so z.B. in der Prignitz: So mannichen Haler, so mannichen blanken Thaler, so mannichen Hinspel, so manchen Winspel u.s.w.

Mündlich.

Quelle:
Adalbert Kuhn: Märkische Sagen und Märchen nebst einem Anhange von Gebräuchen und Aberglauben. Berlin 1843, S. 337-344.
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