Sct. Veits-, Sct. Johannistag und Mariä Himmelfahrt.

[329] In den ehmals wendischen Dörfern zwischen Salzwedel in der Altmark und Lüchow im Hannöverschen wird noch der Sct. Veits- und Johannistag festlich begangen, d.h. die Arbeit ruht und es wird tüchtig getrunken.[329] – Ein alter Förster aus Seeben bei Salzwedel erzählte auch, daß man an diesen Orten früher die Gewohnheit gehabt habe, an einem bestimmten Tage des Jahres einen Baum aus dem Gemeindewalde zu holen, den im Dorfe aufzurichten, darum zu tanzen und zu rufen: »Hennil, Hennil, wache!«

Mündlich.


Am Johannistage werden übrigens durchweg in der Mark allerhand heilsame Kräuter gesammelt, weil man die Meinung hat, daß nur die an diesem Tage gepflückten die gehörige Wirkung thun. Manche, besonders Wurzeln, müssen in der Mitternachtsstunde stillschweigends gegraben werden. Dahin gehört namentlich das Kraut Rainfarren, das nur in der Nachtstunde von 11-12 Uhr blüht, und das, wenn man es bei sich trägt, unsichtbar macht (vgl. Sagen der Ukermark No. 191.). In der Johannisnacht muß auch die Glücks-oder Wünschelruthe geschnitten werden, und zwar von einem Haselstrauch. Man muß zu diesem Zweck rückwärts auf den Haselstrauch zugehn, und stillschweigends mit den Händen zwischen den Füßen durchfassen und so eine gabelförmige Ruthe abschneiden. Will man sehen, ob man auch wirklich eine solche geschnitten habe, so braucht man sie nur ins Wasser zu halten; wenn sie da wie ein Schwein japst, so ist's die Glücksruthe; mit ihr kann man dann Schätze, die in der Erde verborgen sind, finden.

Mündlich.

Dritter Jahresbericht des altm. Vereins S. 90.
[330]

In dem Dorfe Belling bei Pasewalk unweit der ukermärkischen Gränze, hat man am Sonntag vor Johannis folgenden Gebrauch: Die Bauern ziehn früh Morgens aus dem Dorfe und theilen sich in zwei Abtheilungen, Reiter und Fußvolk, und zwar die Knechte zu Pferde, die Herren zu Fuß. Beide kämpfen darauf mit einander, wobei meistens die Knechte die Oberhand gewinnen. Nachher ist dann Scheibenschießen, und wer den besten Schuß thut, wird König und geschmückt ins Dorf geführt. Auf freiem Felde wird zuletzt ein kleiner Jahrmarkt gehalten.

Mündlich.


Die ehemaligen Wenden nördlich von Salzwedel richteten sonst am Johannistage den sogenannten Kronenbaum auf, der allein von den Weibern geholt werden durfte, keine schloß sich davon aus, und selbst körperliche Gebrechen hielten nicht von dem Zuge ab. Am Abend vor Johannis wurde dieser Baum, eine Birke, gehauen, und alle Zweige bis an den Gipfel, an dem man eine kleine Krone stehn ließ, fortgenommen. Am Johannistage selbst nahmen dann die Weiber das Vordergestell eines Wagens, spannten sich anstatt der Ochsen oder Pferde vor und zogen also in das Holz. Das Wetter oder der Weg mochte beschaffen sein, wie sie wollten, sie fuhren nicht aus der Heerstraße, sollten sie auch im Morast oder Wasser bis an die Ohren gehen müssen. Die starken jungen Weiber gingen neben dem Wagen her, sangen Freudenlieder in wendischer Sprache, und ließen die alten Mütterchen ziehn, daß sie bersten[331] mochten. Sobald sie mit dem Baum an das Dorf zurück gelangten, erhoben sie ein Freudengeschrei, eilten grades Weges nach dem Orte, wo der alte Kronenbaum stand, und hieben denselben um, welchen ein Kosater oder Häusling kaufen und den alten Weibern dafür zwei Schilling zu Branntwein geben mußte. Der neue Baum ward nun unter vielem Frohlocken aufgerichtet, mit Kränzen und Blumen behängt, und mit zwölf oder mehr Kannen Bier nach ihrer Art eingesegnet.


Bei denselben Wenden war es ehmals Sitte, mitten im Dorfe einen sogenannten Kreuzbaum, eine Eiche, aufzurichten, der so lange stehn blieb, bis er umfiel. Er durfte jedoch alsdann vor Mariä Himmelfahrt nicht wieder gerichtet werden, weil sie sagten, die Stäte wolle es nicht leiden. Diese Stäte wurde von etlichen für einen männlichen Geist ausgegeben, der sich an der Stelle des Baums aufhalte, daher auch kein Wende mit garstigen Füßen über diesen Platz gehn durfte. Einst begab es sich zu Rebensdorf (nach andern zu Dangsdorf), daß der Dorfbulle, als er von der Weide kam, seine juckende Lende mit solcher Gewalt daran scheuerte, daß der Baum darüber umfiel und den Bullen todtschlug. Dies nahmen die Bauern als ein doppeltes Zeichen eines bevorstehenden großen Unglücks1. Zur[332] Versöhnung der beleidigten Stäte aber wurde noch alle Jahr auf den Tag, wo der Bulle todtgeschlagen, alles ihr Vieh, groß und klein, um den Baum getrieben. Es wurde auch, wenn ein neuer Kreuzbaum aufgerichtet ward, das Vieh eingesegnet. Diese Einsegnung geschah in folgender Gestalt. Erstlich soffen sich alle Bauern toll und voll, darauf tanzten sie in vollen Sprüngen um den Baum und führte der Schulze in seinen Sonntagskleidern und mit einem breiten, weißen Handtuche um den Leib, den Reihen. Dann nahm der Schulze ein großes Licht nebst einem Glase Bier in die Hand, ging damit um das zusammengetriebene Vieh, bespritzte dasselbe mit Bier und segnete es mit wendischen Worten ein. Zu Bülitz und im ganzen Drawan (der Gau zwischen Lüchow, Dannenberg und Uelzen im Hannöverschen) wurden die Häuser, Ställe, Küchen, Keller, Kammern und Stuben mit Bier oder Branntwein an dem Tage, wenn der Kreuzbaum aufgerichtet wurde, begossen, und man glaubte, die Stäte wolle es so haben, und das Vieh würde andren Falles Noth leiden. Im Kirchspiele Prodöhl jagten sie das Vieh um den Baum, damit es im selbigen Jahre wohlgedeihe, gingen auch mit einem großen Wachslichte, wie überall bei diesen Gebräuchen Sitte war, um den Kreuzbaum, und redeten etliche wendische Worte. Ja, man sagte,[333] daß dort noch täglich ein alter Greis vor dem Baume niedergeknieet sei und seine besondre Andacht gehalten habe. So oft vor Zeiten eine junge Frau aus einem andern Orte durch Heirat in ein solches wendisches Dorf kam, mußte sie einen Tanz um den Kreuzbaum thun und etwas Geld hineinstecken. Dergleichen Opfer geschah auch, wenn jemand von einer Wunde oder Schaden, welche sie fleißig an dem Baume zu reiben pflegten, geheilt worden, und kein Mensch vergriff sich an dem Gelde.

Dieser Kreuzbaum war nun zwanzig und mehr Ellen hoch, oben befand sich ein hölzernes Kreuz, und über diesem ein feststehender eiserner Hahn. Wenn nun Mariä-Himmelfahrt nahte, so wählte man einen andern Baum im Holze, ging an diesem Tage dorthin, die Hauswirthe traten auf den Baum zu und jeder mußte seinen Hieb hinein thun, bis er umfiel. Darauf wurde er auf einen mit Ochsen bespannten Wagen gelegt, sie deckten ihn mit ihren Röcken zu, daß nichts davon zu sehen war, und fuhren mit Freuden nach der Stäte, wo der vorige gestanden, und diese war ein kleiner runder Hügel mitten im Dorfe. Hier wurde er von einem wendischen Zimmermann viereckigt gehauen und es wurden auf beiden Seiten Pflöcke angebracht, daß man hinaufsteigen konnte. Drauf ward er unter Freudengeschrei aufgerichtet, der Schulze kletterte hinauf, setzte den Hahn auf und segnete ihm mit einem Glase Bier ein. Zuletzt wurde gezecht und man behauptete, wenn es nicht geschehe, gedeihe das Vieh nicht.[334]

Außer dem Aufrichten des Kronen- und Kreuzbaums hatte man in den wendischen Dörfern noch folgende Gebräuche:


An einigen Orten, namentlich im Amt Dannenberg, wurde jährlich ein Hahn so lange herumgejagt, bis er ermüdet hinfiel; dann schlug man ihn todt, kochte ihn und verzehrte ihn. Während der Mahlzeit durfte niemand aus dem Dorfe gehn. Ein großes Brot wurde gebacken, von dem jeder etwas haben mußte. Auch bei diesem Gebrauch hatte man hauptsächlich das Gedeihen des Viehes im Auge.


Wenn jemand starb, war es ehmals bei den Wenden auf der Gabelheide Sitte, bei dem Todten zu singen und tanzen, auch die ganze Nacht über zu trinken und zuletzt mit Getränk die Güter der Verstorbenen zu benetzen.


Noch um das sechszehnte Jahrhundert soll es bei diesen Wenden Sitte gewesen sein, ihre alten Väter, wenn sie zur Arbeit untüchtig wurden, mit besondern Ceremonien zu tödten. Auch schlachteten sie alljährlich am Charfreitag auf ihrem aufgerichteten Baum ein Osterlämmlein mit besondern Gebräuchen.


Im Mai hielten sie einen Umzug um die Felder, wobei ein mit der Sitte vertrauter alter Priester, Sclavasco genannt, den Vortritt hatte; ein Spielmann zog auch mit und gebrauchte eine aus einem Hundsfelle gemachte Sackpfeife oder Pauke, deren Ton, wie man[335] glaubte, bewirkte, daß Regen und Gewitter der Saat keinen Schaden brächten,

Joh. G. Keißler's neueste Reisen. Abth. II. S. 1371 ff. (K. erzählt hauptsächlich nach einem Visitationsberichte des Obersuperintendenten des Herzogthums Zelle, D. Hildebrand v.J. 1672.)

Nicol. Mareschalci Thurii Annales Herulorum et Vandalorum und desselben Chron. Rhyth

micum. Cap. XII. u. XIV.

Entzelt Chronik der alten Mark S. 43.


Heutzutage wird besonders noch der Johannistag bei den Abkommen jener Wenden festlich begangen; ob indeß noch besondre Gebräuche dabei herrschen, war nicht in Erfahrung zu bringen. Oft wird noch an den folgenden Tagen gefeiert und insbesondere viel getrunken. – Außerdem werden die Aposteltage gefeiert, so z.B. in Lübbow an der märkischen Gränze bei Salzwedel der Jacobitag, weil die hier stehende Kapelle diesem Apostel geheiligt war.

Am Donnerstag Abend, welcher den Namen Ketschenabend führt, wird in dieser Gegend gefeiert; die älteren Frauen spinnen dann nicht, auch wird kein Dünger ausgebracht.

Mündlich.

1

Die Lüneburgschen Wenden hielten es ohnedies für ein besonderes Unglück, wenn ein Bulle natürlicher Weise starb, und haben sie diesem Thiere oft sein Begräbniß mitten im Dorfe und in einer dazu verfertigten Grube angestellt, wohinein ihn der Abdecker stoßen müssen, daß er ordentlicher Weise hat verscharrt werden können.

Quelle:
Adalbert Kuhn: Märkische Sagen und Märchen nebst einem Anhange von Gebräuchen und Aberglauben. Berlin 1843, S. 329-336.
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