11. Das tapfre Schneiderlein.
Mündlich aus Brodewin i.d.U.M.

[289] Zwischen Berlin und Bernau hauste einmal ein Bär, der war gar böse und hatte sich in einem alten Försterhause, das im Walde stand, sein Lager gemacht, und machte dadurch die Landstraße so unsicher, daß die Handwerksburschen, welche nach Bernau gingen, immer die Zeit abpassen mußten, wenn er schlief, um nur nicht von ihm zerrissen zu werden. Da saßen denn auch einmal ihrer drei zu Berlin im Wirthshause, die wollten andern Morgens nach Bernau gehn, und einer davon war ein kleines Schneiderlein und war bucklig; und wie sie so beim Biere saßen, waren einige Tröpflein davon auf den Tisch gefallen, daran setzten sich die Fliegen; da schlug der Schneider auf einmal mit beiden Händen zu und erschlug zwölfe mit der rechten, elfe mit der linken Hand. Darob frohlockte er gewaltig und rief: »Darauf will ich Kunststücke machen.« Sprachs und ging hin, ließ sich einen Hirschfänger machen und auf die eine Seite schreiben »rechts zwölfe«, und auf die[289] andre »links elfe«. Andern Morgens ging er mit seinen Genossen nach Bernau, und wie sie in den Wald in die Nähe des Hauses kamen, wo der Bär lag, wollten sie nicht vorwärts, sondern versuchten erst zu erspähen, ob er auch wohl schliefe. Das Schneiderlein aber nahm seinen Hirschfänger, ging muthig vorwärts, und sprang durch das Fenster mitten in die Stube hinein; der Bär schlief grade, und als er den Lärmen hörte, wachte er auf, wurde gewaltig zornig und wollte das Schneiderlein fressen; das sprang aber, behende wie es war, zum entgegengesetzten Fenster hinaus und der Bär ihm nach. Schneiderlein lief drauf ums Haus herum, sprang wieder ins Fenster hinein, drauf zum andern wieder hinaus, und der Bär immer hinten nach; aber das Schneiderlein war so schnell, daß es dem Bären endlich in den Rücken kam, wie er grade aufs Fenster sprang, um hinauszusetzen; da zog es schnell seinen Hirschfänger und hieb ihm ins Genick, daß er todt niederstürzte. Nun hatte aber der König verkündigen lassen, »wer den Bären schlägt, der soll die Prinzessin haben!« darum ward das Schneiderlein fröhlich und guter Dinge und machte sich eilig wieder auf den Weg zurück nach Berlin. Als es nun da ankam und der König erkannte, daß es den Bären erschlagen habe, wars ihm doch leid um seine Tochter, daß sie solch ein buckliches Schneiderlein heiraten solle, sagte drum, es müsse erst mit ihm in den Krieg ziehn, denn da gedachte er seiner los zu werden. Darum führte er ihn denn in[290] den Marstall und hieß ihn, sich das beste Pferd aussuchen, was er haben wollte. Das Schneiderlein besann sich auch nicht lange und nahm sich einen prächtigen Schimmel, den bestieg es und nun gings fort in den Krieg. Wie sie nun so durch einen Wald zogen, ritt das Schneiderlein dicht unter den Zweigen hin, und ehe es sichs versah, saß es mit den Haaren an einem Feigenblatt fest, sein Schimmel aber lief mit dem ganzen Heere davon, und da hing nun das arme Schneiderlein zwischen Himmel und Erde und zappelte mit den Beinen, und der König dachte: »dahange du, bis du schwarz wirst!« Allein der Schimmel kehrte wieder zurück, lief grade unter dem Feigenblatt fort, und das Schneiderlein nahm den günstigen Augenblick wahr, sprang hinab und saß wieder hoch zu Roß, wie zuvor. Als nun aber die Feinde hörten, welchen Helden der König habe, da wurden sie alle von Furcht ergriffen, und das Schneiderlein schwang sein Schwert so lustig über seinem Kopf, daß sie endlich alle davon liefen. Nun gings wieder nach Hause, und das Schneiderlein wollte die Prinzessin heiraten, aber der König sagte, »noch kannst du's nicht, da ist noch ein Riese, der will sie auch haben, mit dem mußt du darum kämpfen!« – Wenns weiter nichts ist, sagte der Kleine, mit dem will ich wohl fertig werden! lief hinaus zum Riesen und fand ihn auch bald. Als ihn der Riese sah, mochte er gar nicht mit ihm kämpfen, denn er war ihm gar zu klein, nahm daher einen Stein und zerdrückte ihn in seiner[291] Hand, daß er zu Mehl wurde und sagte: »Thu mir's nach!« Das Schneiderlein aber sagte: »wenns weiter nichts ist, das kann ich auch, und ich kann ihn sogar so drücken, daß das Wasser herausläuft.« Und wie er das gesagt, zog er einen weißen Käse aus der Tasche und drückte ihn so mit seinen Händen, daß das Wasser herauslief. Das ärgerte den Riesen, und er nahm einen Stein und warf ihn in die Luft, daß es lange lange währte, bis er wieder zur Erde kam, und sagte: »Thu mirs nach!« Das Schneiderlein aber sagte: »wenn's weiter nichts ist, ich kann so hoch werfen, daß der Stein gar nicht wieder kömmt!« zog darauf eine Lerche aus der Tasche und warf sie in die Luft, und die flog davon und kam nimmer wieder. Da wurde der Riese gar zornig, denn er glaubte, daß der Schneider durch den Himmel geworfen habe, und nahm seinen Spatzierstock, das war aber eine gewaltige große Eisenstange und wollte damit das Schneiderlein todt schlagen, aber das sprang flugs bei Seite, so daß die Stange tief in die Erde fuhr. Da bückte sich denn der Riese, um sie herauszuziehn, aber im selben Augenblick sprang ihm auch das Schneiderlein auf den Rücken und hieb ihm mit seinem Hirschfänger ins Genick, daß er todt niederfiel. Nun ging es zurück zum König und wollte die Prinzessin haben, aber der König sagte: »Nun mußt du noch der Sonne nachreiten, und dann ist alles gut, dann sollst du sie haben!« Das Schneiderlein wollte zwar unwillig werden, aber es setzte sich doch auf seinen[292] Schimmel und ritt der Sonne nach, daß es nur so dahin flog, aber über der Eil sah's nicht vor sich, und saß auf einmal mitten im Sumpf; da sank der Schimmel mit dem Schneiderlein und sank immer tiefer und tiefer, und konnte nicht herauskommen, soviel sie sich auch mühten, und wenn sie keiner herausgezogen hat, sitzen sie heut noch drin.

Quelle:
Adalbert Kuhn: Märkische Sagen und Märchen nebst einem Anhange von Gebräuchen und Aberglauben. Berlin 1843, S. 289-293.
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