16. Der dumme Wolf.
Mündlich aus Brodewin in d.U.M.

[299] Der Wolf und der Fuchs wohnten einmal in einer Höle zusammen, und da wachte eines Morgens[299] der Wolf auf und fühlte sich gar nicht recht wohl und rief so vor sich hin, indem er die Pfoten reckte; »heut muß ich noch etwas Junges haben, dann wird mir wohl besser werden!« Das hörte der Fuchs und hätte auch gern eine Mahlzeit gehabt, aber er mochte sich nicht viel rühren, darum sagte er: »Mir geht's auch so, denn ich bin leider lahm und kann nicht von der Stelle.« – Sprach der Wolf: »Nun darum sorge nicht, setz' dich nur auf meinen Rücken, dann will ich dich tragen!« Das war der Fuchs gleich zufrieden, kroch ihm auf den Nacken und nun gings auf und davon. Wie sie so eine kleine Weile im Walde gegangen waren, sprach der Fuchs leise vor sich hin: »Da trägt der Kranke den Gesunden!« Das hörte aber der Wolf und fragte schnell: »Was sagst du?« doch der Fuchs antwortete traurig: »Ach an meine Rede mußt du dich nicht kehren, ich rase nur so!« Wieder gingen sie drauf eine Weile fort und das wiederholte sich so zum zweiten und zum dritten Male, aber der Wolf ließ sich jedesmal wieder vom Fuchs bethören, daß er wirklich meinte, er sei im Fieber und rase nur so. Da kamen sie an einen Weg, auf dem sah der Fuchs eine Speckseite liegen, und flugs sprang er herunter vom Rücken des Wolfs und darauf zu, und fragte ihn, ob er mit ihm theilen wolle, allein der Wolf begehrte nichts davon und ging ruhig seiner Wege. Nachdem er so eine Weile gegangen war, kam er an eine Wiese, auf der eine Stute mit ihrem Fohlen weidete; die ersah[300] ihn erst, als er gar nicht mehr weit von ihr war, und ging ihm darum entgegen, und sprach: »Guten Tag, Wolf! Ich habe da ein Fohlen, mit dem geht's mir gar schlecht, ich kann es nicht mehr ernähren; darum säh ich's wohl gern, wenn du es schlachtetest!« – »I das will ich wohl thun«, sagte der Wolf und ging gleich mit ihr. Unterweges hinkte aber die Stute gar sehr, so daß es dem Wolf nicht schnell genug ging, und er sie fragte: »Wie kommt's, daß du hinkest!« – Ach, sagte sie, ich muß mir etwas in den Fuß getreten haben, möchtest du nicht einmal nachsehen, was es wohl sei und es herausziehen? – »Eine Liebe ist der andern werth«, sprach der Wolf, sie hob den Huf empor und er bückte sich, den Schaden recht genau zu besehen, aber da schlug sie ihm plötzlich an den Kopf, daß ihm Hören und Sehen verging, und er für todt niederstürzte. Darauf eilte sie schnell mit ihrem Fohlen davon, und als der Wolf aus seiner Betäubung erwachte, waren beide längst über alle Berge. Da ging er denn traurig weiter und kam nach einiger Zeit an den Rand eines Waldes, wo er zwei Ziegenböcke erblickte, die sich gewaltig mit den Hörnern stießen. Er trat heran und fragte nach der Ursach ihres Streites, und da erzählten sie ihm, sie seien von ihren Herren hier angebunden, um zu grasen, und nun wisse keiner von beiden, wo die Grenze sei, und jeder glaube, einer thue dem andern zu viel. Da sprach der Wolf: »Das kann ich leicht schlichten; ich werde[301] mich hierher stellen, und ihr geht beide bis zu dem Ende der Grasung, dann lauft ihr um die Wette auf mich zu, und wer der erste bei mir ist, der kriegt das größere Stück der Weide!« denn so dachte er erst den einen und dann den andern zu fangen und zu fressen. Die Ziegenböcke thaten auch, wie er ihnen gesagt hatte, aber als er nun so in der Mitte stand, liefen beide mit solcher Hast und Eil auf ihn zu, daß sie zu gleicher Zeit bei ihm eintrafen und ihm mit solcher Gewalt in die Seiten stießen, daß er halb todt niederstürzte; darauf liefen beide eilig davon, und es dauerte lange, ehe er wieder zu sich kam. Aber er gab doch seinen Vorsatz noch nicht auf, und da er immer noch kränker wurde, sprach er zu sich: »Ich muß heute noch etwas Junges haben, dann wird mir wohl besser werden.« Darauf ging er wieder weiter und kam in ein schönes grünes Thal, wo ein rasches Bächlein eine Mühle trieb; unweit derselben ging eine Sau mit neun Ferkeln. Als die den Wolf erblickte, sah sie wohl, daß sie nicht würde entfliehen können, lief ihm daher entgegen und sagte: »Lieber Wolf, ich habe so viele Ferkel, daß ich sie nicht ernähren kann, du thätest mir einen großen Gefallen, wenn du eins verzehrtest, aber zuvor mußt du es taufen, damit es in den Himmel kommt, darum setz dich auf den Steg, der über den Bach führt, dann will ich es dir hineinbringen, daß du die Taufe verrichtest.« Das war denn auch der Wolf gern zufrieden und ging mit ihr hinab zum[302] Bach; nun war freilich der Steg, der oberhalb der Mühle war, gar schmal, und es kostete ihm große Mühe, einen festen Sitz zu fassen, allein er dachte: »Wer nicht wagt, der nicht gewinnt!« und so gelang's ihm endlich. Als die Sau sah, daß alles in Ordnung war, nahm sie das Ferkel ins Maul, um es ihm hinabzubringen, allein plötzlich änderte sie ihren Lauf, stürzte auf den Steg und grade gegen den Wolf mit einer solchen Gewalt los, daß er Kopf über in den Bach fiel und sich in dem reißenden Wasser nicht halten konnte, sondern zwischen das Mühlrad kam und jämmerlich zerschunden und zerquetscht auf der andern Seite wieder hervortauchte. Nur mit Mühe arbeitete er sich noch heraus, kroch ganz traurig ans Land, und schlich matt auf einen Birnbaum zu, der einsam im Felde stand. Unter dem saß aber grade ein Bauer, der hatte sich Holz gehauen, um Eggenpflöcke zu schneiden, und wie er den Wolf erblickte, kroch er eilig auf den Baum und verbarg sich in den Zweigen. Der Wolf aber setzte sich unten nieder und sann nun über all das Unglück, das ihn heute betroffen hatte, nach. Da sprach er zu sich selber: »Wer hat dich nun wohl zum Doctor gemacht, daß du die Stute kuriren wolltest? Oder wer hat dich zum Landmesser gemacht, oder wer hat dich gar zum Priester gemacht, um Ferkel zu taufen? Es wäre dir doch wahrlich das Allerbeste, daß unser Herr Gott ein Beil vom Himmel auf dich herunter würfe, dann wäre all deinem Leiden ein Ende[303] gemacht!« Und kaum hatte er das ausgesprochen, so warf der Bauer sein Beil aus dem Baum herunter und traf ihn grade in die Weichen, daß er sogleich zusammenstürzte; da rief er noch: »Nun, nun, so ernstlich war's ja nicht gemeint!« aber jetzt war's zu spät und er hat weder mehr kurirt, noch Landmessung gehalten, noch Priester gespielt, sondern ist da unter dem Birnbaum gestorben und der Bauer hat sich einen Pelz aus seinem Balg gemacht.


Quelle:
Adalbert Kuhn: Märkische Sagen und Märchen nebst einem Anhange von Gebräuchen und Aberglauben. Berlin 1843, S. 299-304.
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