218. Die alte Stadt Wittenberge.
Beckmann Besch. d.M.B. Th. V. B. II. K. VIII. S. 327-29.

[235] Die Stadt Wittenberge hat ehmals nicht an ihrer jetzigen Stelle gelegen, sondern an einem Orte in der Nähe derselben, der jetzt ein beackertes Feld ist und den Namen der alten Stadt trägt. Man sieht dort auch noch Gräben und Wälle und einen hohen Hügel, mit einem besondern Graben umgeben; auf diesem soll das Schloß der Stadt gestanden haben, und es werden dort auch noch Mauersteine, Urnen und dergleichen mehr gefunden. Auch soll dort noch ein Keller, der aber ganz verfallen ist, vorhanden sein. Man erzählt, hier ließen sich oft Gespenster sehen und hören, und sagt, vor langen Jahren hätte ein Fräulein dieses Orts, deren Namen man jedoch nicht kennt, sich an einen Vornehmen von Adel versprochen, und dieser sich darauf in den Krieg begeben, um sich noch weiter zu versuchen, und hernach, sobald es die Zeit würde leiden wollen, die versprochene Ehe zu vollziehen. Nicht lange hernach aber hätte sie den Ritter aus den Gedanken gesetzet und einem andern vornehmen Herrn die Ehe zugesagt, sich auch wirklich bald darauf mit ihm verbunden. Als das[235] der erste Bräutigam erfahren, hat er Stadt und Burg mit Heeresmacht angegriffen und erobert und darauf beide zerstöret; dadurch sind denn die Einwohner veranlaßt worden, sich einen andern in der Nähe gelegenen bequemen Platz aufzusuchen, um daselbst eine neue Stadt anzulegen, und so ist denn das jetzige Wittenberge entstanden.

Quelle:
Adalbert Kuhn: Märkische Sagen und Märchen nebst einem Anhange von Gebräuchen und Aberglauben. Berlin 1843, S. 235-236.
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