207. Die versunkene Stadt im Werbellinsee.
Mündlich.
Fischbach Städtebeschreibung d.M. Br. Th. I. Bd. I. S. 351.

[220] Vor alter Zeit hat dort, wo sich jetzt der Werbellinsee befindet, eine Stadt Namens Werbelow gestanden, die ist untergegangen, und das soll so gekommen sein.


Mitten in der Stadt lag ein Schloß, das war rings mit Wasser umgeben und nur eine einzige Zugbrücke führte hinüber; der Herr des Schlosses war aber ein gar böser Zauberer und ließ nur sehr selten einen Fremden zu sich ein. Da kam eines Tages auch eine alte Frau, die wollte ins Schloß hinein, und wie der Herr sie erblickte, rief er ihr zu, sie solle zurückgehn. Das that sie auch, sagte aber zu gleicher Zeit: »Ich will zurückgehn, aber du sollst untergehn!« Und das hat sie wohl wahr gemacht, denn sie wußte noch stärkeren Zauber als der Herr selber. Nun befand sich zu dieser Zeit aber ein Fremder in der Stadt, der war ein gar gottesfürchtiger Mann, weshalb sie seinen Untergang nicht auch herbeiführen wollte; sie ging daher zu ihm und sagte, er solle eilig die Stadt verlassen, denn sie würde binnen kurzer Frist untergehen. Da packte er schnell seine Sachen zusammen und ging mit sei nem Bedienten, den er bei sich hatte, davon. Als sie so eine Strecke fort waren und auf dem Berge ankamen, der unweit der Stadt lag, bemerkte er, daß sie in der Eile sein Felleisen[221] mitzunehmen vergessen hätten. Da schickt er seinen Diener zurück, aber der kehrte nach kurzer Zeit zurück, und sagte, die Stadt und das Schloß seien spurlos verschwunden, und an ihrer Stelle sei ein großer See entstanden.

Im Werbellinsee, sagt man auch, müsse alle Jahr einer ertrinken, und zwar geschehen vorher allerhand Wahrzeichen, namentlich hört es sich dann oft so an, als wenn einer laut in die Hände klatsche, und da währt's denn immer nur kurze Zeit, so ertrinkt auch einer im See.


Quelle:
Adalbert Kuhn: Märkische Sagen und Märchen nebst einem Anhange von Gebräuchen und Aberglauben. Berlin 1843, S. 220-222.
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