19. Der Meisterdieb.

Mündlich aus Ankeloh bei Bederkesa.

[362] Es ist einmal ein Mann gewesen, der hat einen Sohn gehabt, zu dem hat er gesagt, als er in die Jahre kam, er solle hingehen und ein Handwerk lernen, damit er sich was in der Welt versuche; aber Geld hat er ihm nicht mitgegeben auf die Reise: »denn das,« hat er gesagt, »könnten dir die Räuber nehmen, oder dich am Ende darum todt machen.« Da hat sich denn der Sohn aufgemacht, und wie er in den Wald kommt, da halten ihn die Räuber an und fragen ihn, wohin er wolle, er aber sagt ihnen, er wolle hin und ein Handwerk lernen; da sagen sie, das könne er auch bei ihnen, denn das Räuberhandwerk sei auch ein schönes Handwerk und nähre seinen Mann. Das ließ er sich gefallen, blieb da und lernte es bald beßer als alle übrigen. Wie er nun[362] schon eine lange Weile dagewesen, bekam er Sehnsucht nach Vater und Mutter und sagte es den Räubern, denn er müße doch heim und erzählen, was er alles gelernt, und da waren sie's zufrieden und ließen ihn ziehen. Da kam er heim und erzählte alles, was er gelernt, und Vater und Mutter wollten's kaum glauben, so wunderbar war's, und vollends der Nachbar, der auch da war, der wollt's nun gar nicht glauben, und sagte endlich: »Wenn du mir meinen Ochsen stehlen kannst, während ich sie mit den Knechten zum Holzberg schicke, dann will ich's glauben.« Das war der Meisterdieb zufrieden und der Nachbar ging nach Hause und schickte seine Knechte mit den Ochsen in den Holzberg. Da lief der Meisterdieb eiligst voran, und als er im Walde war, hing er sich an seinem Halstuch an einem Baume auf, doch so, daß er mit den Kinnbacken am Tuche hing und durch die Nase athmen konnte. Als nun die beiden Knechte mit den Ochsen kamen, sagte der eine zum andern: »Du, siehst du den da hangen? Hier gibt's gewiß Räuber, laß uns eilen, daß wir hier fortkommen.« Und damit trieben sie schnell mit den Ochsen vorüber, aber kaum waren sie fort, da sprang auch der Meisterdieb herab, lief ihnen auf einem Richtsteig zuvor und hing sich sogleich wieder wie vorher an einem Baumast auf. Als nun die beiden ankamen, sagte der eine wieder: »Du, siehst du den da? Das ist derselbe, den wir vorher hangen sahen!« aber der andere sagte: »Nein, es ist ein anderer,« der erste aber blieb dabei: »Es ist derselbe.« Da beschloßen sie endlich, sie wollten die Ochsen hier anbinden und zurücklaufen, um zu sehen, wer Recht habe. Das thaten sie denn auch, banden die Ochsen an und liefen zurück. Da stieg der Meisterdieb schnell vom Baum, band die Ochsen los, trieb sie heim und brachte sie dem Nachbar. Aber der wollt's immer noch nicht glauben und sagte, wenn[363] er ihm seinen Hengst aus dem Stall stehlen könne, auf welchem einer sitze und über dem zehn andere beim Feuer wachten, dann wolle er's glauben. Das war der Meisterdieb auch zufrieden und ging fort. Da ließ der Nachbar seine Knechte kommen, sagte ihnen alles und hieß sie die ganze Nacht über kein Auge zuthun, und niemand in den Stall hineinlaßen; die sagten auch: »Ja, das soll geschehen!« und gingen fort. Als es darauf Abend wurde, setzte sich der Großknecht auf den Hengst und die übrigen zehn machten sich ein Feuer an, denn es war draußen entsetzlich kalt, setzten sich dazu und wärmten sich. Wie sie so saßen, da klopft's auf einmal an der Thür und ein steinaltes Männchen mit langem eisgrauen Bart trat herein und bat so kläglich und beweglich um ein Obdach, denn draußen sei's so kalt, so kalt, daß sie endlich Mitleid fühlten und dem Männchen erlaubten, da zu bleiben. Da war das Männchen auch dankbar und sagte: »Eine Liebe ist der andern werth; euch wird's auch frieren, wie mich, aber hier hab' ich noch ein Paar Tropfen, die halten Leib und Seele zusammen!« Und damit zog er eine Flasche hervor, setzte sie an den Mund und that einen tüchtigen Zug; aber es that nur so, denn das Männchen war der Meisterdieb, und als er die Flasche an den Mund setzte, da hielt er die Zunge gegen die Oeffnung, damit nichts herausliefe, denn in der Flasche war ein Schlaftrunk. Die Knechte aber nahmen die Flasche von dem Meisterdieb an und tranken jeder einen kräftigen Zug und zuletzt reichten sie sie auch dem Großknecht, der auf dem Hengst saß, der nahm auch einen Schluck, daß es nur so kluckerte. Da dauert's ein kurzes Weilchen, da fingen dem ersten die Augen an zuzusinken, und nicht lange danach dem zweiten ebenso, und so allen der Reihe nach durch, und zuletzt schnarchten sie alle elf, daß es einen Todten hätte erwecken können.[364] Da machte sich der Meisterdieb auf, setzte den Großknecht, der auf dem Hengst saß, rittlings auf die Raufe, und sich auf den Hengst und jagte davon. Als er aber andern Tages zum Nachbar kam, auf seinem eigenen Hengst, wollte der's doch noch nicht glauben, sondern sagte, wenn er ihm hundert Thaler unterm Leibe weg und seiner Frau ihr Hemd mit einem eingenähten silbernen Ringe stehlen könne, dann wolle er's glauben, aber betreffen dürfe er sich dabei nicht laßen, sonst würd's ihm schlecht ergehen und er dürfe ihn todtschießen. Das war der Meisterdieb zufrieden und ging fort. Als es nun Abend wurde und die Nacht kam, da ging der Meisterdieb hin zum Galgen, wo einer gehängt war, schnitt ihn ab, nahm ihn auf seinen Rücken und stieg mit ihm auf des Bauern Dach. Darauf band er ihm einen Strick um die Füße und ließ ihn herab bis dicht vor des Bauern Fenster; der lag aber schon auf der Lauer und sagte zu seiner Frau: »Siehst du ihn da? Er kuckt schon, laß ihn nur ein wenig tiefer herunterkucken, dann schieß ich zu und er ist mausetodt.« Da ließ der Meisterdieb den Leichnam des Gehängten ein wenig weiter hinab, und paff! fiel der Schuß; da ließ der Meisterdieb schnell den Leichnam herunterfallen. Das hörten die beiden in der Stube und die Frau sagte: »Mann, was hast du gemacht? nun hast du ihn gar todtgeschoßen, wie wird's uns ergehen!« Der Mann aber beruhigte sie und sagte: »Sei nur still, ich werde gleich hinausgehen und ihn im Garten eingraben, dann merkt kein Mensch etwas; da, nimm indeßen das Geld, bis ich wiederkomme!« Und damit ging er hinaus und trug den Leichnam in den Garten. Sogleich stieg der Meisterdieb herab vom Dache, trat in die Stube und sagte zur Frau: »Nun, Frau, der kömmt nicht wieder; gib mir aber jetzt das Geld, ich will's wieder in den[365] Kasten legen und thu' auch das Hemd mit dem Ring ab, das will ich dazuthun!« Da gab sie ihm das Geld und gab ihm auch das Hemd und er nahm beides und that, als legt er's in den Kasten, danach aber sagte er: »Frau, ich hab mich recht erschrocken über den Todten, der war schon ganz kalt; will nur noch einmal hinaus und wäßern, dann wird's mir wohl nicht schaden!« Und damit ging er hinaus, und gleich danach kam der wirkliche Mann und wollte das Geld und den Ring haben, und als ihm nun die Frau sagte: »Das hab ich dir ja eben gegeben!« da merkte er wohl, was für ein Vogel da gewesen, und da endlich hat er's geglaubt.


Quelle:
Adalbert Kuhn / W. Schwartz: Norddeutsche Sagen, Märchen und Gebräuche aus Meklenburg, Pommern, der Mark, Sachsen, Thüringen, Braunschweig, Hannover, Oldenburg und Westfalen. Leipzig 1848, S. 362-366.
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