72. Ein trauriges Fastnacht-Spiel.

[611] Woher die Fastnacht ihren Ursprung habe / und wo sie am ersten gefeyert worden sey / lehret Macrob im 1. Buch seiner Fastnächtigen Gastereyen am 7. Cap. und ist zu weitläufftig hier zu erzehlen. Plutarchus in seinem Büchlein von der Begierde[611] des Reichthums meldet / daß die Fastnacht bey den alten Römern schlecht weg und ohne grosse Kosten sey gehalten worden. Es ward ein Bock herum geführet vor / demselben her ward ein Eymer voll Wein / und ein Bündlein abgeschittener Rebensprößlein getragen. Nach ihme folgete ein Mann mit einem Korbe voll Feigen /letztlich wurde ein garstig Bild eines männiglichen Gliedes / (Phallus) hernach getragē. Heutiges Tages aber wird unter den Christen Fastnacht gehalten in Völlerey / Unzucht / und andern schändlichen Lastern. Wer da die unflätigste Zotten und Narrenpossen machen und herfür bringen kan / der ist der beste Fastnachts-Bruder. Da machen sie durch schändliche Veränderung und Verwechselung der Kleider die Männer zu Weiber / und hinwiederum die Weiber zu Männer / welche offtmals einen bösen Ausgang gewinnen / wie ich davon ein denckwürdig Exempel in nachfolgender Historie erzehlen will.

Dem König Carolo dem 6. dieses Nahmens in Franckreich / wolten etliche Frantzösische Herren eine Fastnachts-Freude machen / verkleideten sich derhalben bey nächtlicher Zeit als wilde Männer / mit engen Pech und Hartz zusammen geheffteten Kleidern / und kamen also in das Gemach. Das gefiel dem Könige so wol / daß er sich auff gleiche Weise bekleidete und vermummete / kam darauf zu einer Frantzösischen Herzogin / und gieng freundlich mit ihr um: Die Hertzogin ließ sich bedüncken / der König machte sich gar zu gemein mit ihr (dann sie kannte ihn in den Kleidern nicht) ergriff ihn / und wolte ihn nicht gehen lassen / biß er bekennete / wer er wäre; Als er sich nun nicht wolte zu erkennen geben / nahm ein Hertzog / welcher dem Tantze zusahe /[612] einem Diener die Fackel aus der Hand / und leuchtete dem Könige damit unter das Gesichte / weil er aber zu nahe kam /ward das Pech an den Narren-Kleidern angezündet /und fieng der König an zu brennen / die andern Narren / welche gleiche Kleider anhatten / lieffen herzu /und wolten dem Könige helffen / vergassen aber ihrer verpechten Kleidung / wurden gleicher Weise angezündet / und verbrannten 4. unter denselben so sehr /daß sie davon sturben. Der König selbst gerieth dadurch in ein Todes-Schrecken / und ward also verletzet / daß er endlich davon sterben muste. Das war also der Ausgang dieses närrischen Fastnachts-Spiels.


Narrenspiel will Raum haben. Die Christen solten so ärgerliche unzüchtige Sachen billich den Heyden überlassen.

Quelle:
Lauremberg, Peter: Neue und vermehrte Acerra philologica, Das ist: Sieben Hundert auserlesene, nützliche, lustige und denckwürdige Historien und Discursen, aus den berühmtesten griechischen und lateinischen Scribenten zusammengetragen [...], Frankfurt am Main, Leipzig, 1717, S. 611-613.
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