9. Die Schlacht bey St. Jakob im Jahr 1444

[74] Der Schweizer höchste Dapferkeit,

Die keinem Schmerz entflieht,

Besiegt noch kämpft, den Tod nicht scheut,

Verdiente die kein Lied?


Ja, ströme mächtig und ertön,

Lied, das unsterblich macht!

Sie trutzten gleich den Alpenhöhn

Dem Donner in der Schlacht.


Sie sahn den Feind und schlugen ihn

Zurük mit kleiner Zahl;

Sie sehn ihn wieder, schlagen kühn

Ihn schnell zum zweitenmal.


Verwegen macht der frühe Sieg

Der Sieger Heldenhand:

Sie stürzten sich in tiefern Krieg

Zu voll von Vaterland.


Umsonst Kanonendonner brüll'

Und ströme Tod auf Tod!

Sie dringen ein; Tod ist ihr Spiel,

Und Feinde Morgenbrod.


Zwar stößt das zehnmal grösre Heer

Der Feinde sie zurük.

Doch zehnfach tödtet ihr Gewehr

Mit jedem Augenblik.


Bey Jacobs Mauren hörten sie

Der Kriegesrosse Trab:

»Eh unser auch nur einer flieh',

Eh find' er hier sein Grab«!
[75]

Der Feind stieg schnaubend von dem Pferd;

»Komm nur, wir bleiben still;

Maurüber flamme Schwerd an Schwerd

Nach Tod; wir bleiben still«!


Die Löwen stritten; jeder stand,

Wich keines Haares breit;

Die schon zerstükte Schweizerhand

War muthig noch im Streit.


Sink immer Glied um Glied zerfezt;

Sie kämpften tief im Blut.

Wer Freyheit mehr als Leben schäzt,

Behält im Tode Muth.


Der Feinde ungeheure Zahl

Schlug, traf, doch siegt' sie nicht;

Rief: »Strömt, Kanonen, noch einmal

Tod in ihr Angesicht«!


Die Kräffte sanken, nicht ihr Muth;

Nein! der sah nie zurük!

Sie rafften sich empor im Blut;

Tod war ihr lezter Blik.


Wenn Dapferkeit im heißen Krieg

Nicht immer siegen mag,

Schön ist sie doch; dem schönsten Sieg

Gleicht diese Niederlag!


Erstaunungsvoll sah der Delphin

Sein bestes Volk im Grab;

Sein Sieg erfüllt mit Grauen ihn,

Noch staunt er, bebt, zieht ab.


Quelle:
Johann Kaspar Lavater: Ausgewählte Werke. Band 1, Zürich 1943, S. 74-76.
Lizenz:
Kategorien:

Buchempfehlung

Neukirch, Benjamin

Gedichte und Satiren

Gedichte und Satiren

»Es giebet viel Leute/ welche die deutsche poesie so hoch erheben/ als ob sie nach allen stücken vollkommen wäre; Hingegen hat es auch andere/ welche sie gantz erniedrigen/ und nichts geschmacktes daran finden/ als die reimen. Beyde sind von ihren vorurtheilen sehr eingenommen. Denn wie sich die ersten um nichts bekümmern/ als was auff ihrem eignen miste gewachsen: Also verachten die andern alles/ was nicht seinen ursprung aus Franckreich hat. Summa: es gehet ihnen/ wie den kleidernarren/ deren etliche alles alte/die andern alles neue für zierlich halten; ungeachtet sie selbst nicht wissen/ was in einem oder dem andern gutes stecket.« B.N.

162 Seiten, 8.80 Euro

Im Buch blättern
Ansehen bei Amazon

Buchempfehlung

Geschichten aus dem Biedermeier. Neun Erzählungen

Geschichten aus dem Biedermeier. Neun Erzählungen

Biedermeier - das klingt in heutigen Ohren nach langweiligem Spießertum, nach geschmacklosen rosa Teetässchen in Wohnzimmern, die aussehen wie Puppenstuben und in denen es irgendwie nach »Omma« riecht. Zu Recht. Aber nicht nur. Biedermeier ist auch die Zeit einer zarten Literatur der Flucht ins Idyll, des Rückzuges ins private Glück und der Tugenden. Die Menschen im Europa nach Napoleon hatten die Nase voll von großen neuen Ideen, das aufstrebende Bürgertum forderte und entwickelte eine eigene Kunst und Kultur für sich, die unabhängig von feudaler Großmannssucht bestehen sollte. Dass das gelungen ist, zeigt Michael Holzingers Auswahl von neun Meistererzählungen aus der sogenannten Biedermeierzeit.

434 Seiten, 19.80 Euro

Ansehen bei Amazon