Vorrede

[243] Die gegenwärtige Liedersammlung besteht theils aus schon bekanntgemachten, nun aber nach meiner itzigen Einsicht und Empfindung durchaus verbesserten, theils aus einer beträchtlichen Anzahl von ganz neuen Liedern.[243] Ich glaube und hoffe nun zwar (und ich flehe Gott gewiß oft dafür an), daß diese geringe Arbeit nicht ganz fruchtlos, sondern an mancher christlichen Seele geseegnet seyn werde; und in dieser Absicht kann bey der Herausgebung derselben mein Gewissen ruhig, zufrieden und vor Gott vergnügt seyn. Allein, ich kann es auch nicht deutlich genug sagen, wie sehr unvollkommen ich dennoch diese Lieder größtentheils finde, wie sehr ich mir so oft die Nachsicht insonderheit der feinern Kenner auszubitten Ursache sehe. Ich habe manche davon verschiedene Male umgegossen und doch nicht ganz damit zufrieden seyn können. Was ich hier mit Aufrichtigkeit sage, werde ich mir bey jedem besondern Tadel von jedem denkenden Beurtheiler gerne sagen lassen und es mit dem aufrichtigsten Dank annehmen. Ein christliches Lied, welches gemeinnützig seyn soll, setzt wahrlich sehr viel voraus, das ich mir nicht zueignen darf, gewiß noch mehr als Klopstocks Schwung oder, wenn ich es sagen dürfte, seinen Triumphton, noch mehr als Gellerts Deutlichkeit, Einfalt und moralische Empfindsamkeit und Cramers Kühnheit und Fleiß: – Erleuchtung, eigne Empfindung, Erfahrung, Schriftkenntniß, tiefe, richtige, feine Schriftkenntniß und himmlische Salbung, der durchaus souverainen Herrschaft über die Sprache nicht zu gedenken.

Nur als einen sehr schwachen Beytrag, nur als ein Schärflein zur Erbauung bitte ich also diese kleine Sammlung anzusehen und ganz und gar nicht als etwas in irgend einer Absicht Vollständiges.

Ich werde mit Gottes täglich ausgebethenem Seegen fortfahren, meine bereits verfertigte, bloß handschriftliche Lieder zu verbessern und nach dem Maaße der Einsicht und Empfindung, die Gott uns schenken wird, so viel es[244] immer meine Muße zuläßt, neue zu verfertigen und, geliebt's Gott, dieser Sammlung eine zweyte von ähnlicher Größe, und wo immer möglich, von mehrerer Vollkommenheit beyzufügen trachten.


Quelle:
Johann Kaspar Lavater: Ausgewählte Werke. Band 1, Zürich 1943, S. 243-245.
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