Vorrede

[223] Hier also die zweyte Sammlung alter, verbesserter, umgegoßner, einzelngedruckter und eines großen Theils ganz neuer Lieder, noch so unvollkommen wie der erste Theil, und dennoch gewiß nicht ohne Seegen für eine Menge Christen von der verschiedensten Denkensart in den verschiedensten Umständen.

Man kann, meines Bedünkens, die christliche Lieder nicht genug vervielfältigen, aber man kann sie auch nicht genug ausarbeiten. In Absicht auf beydes kann ich wenig mehr versprechen als, so Gott Leben und Muße schenkt, eine Sammlung von Kirchenliedern, auf die ich allen erdenklichen Fleiß zu wenden mir Kraft und Geist von Gott erbitten werde. Ich halte ein Kirchenlied für das edelste, würdigste, gemeinnützigste aller menschlichen Werke, aber auch zugleich für das schwerste, wenn der Erhabenste und Schwächste, der Weiseste und Einfältigste wenigstens eben so gleichen Antheil daran sollen nehmen können wie das scharfe und blöde Aug am Sonnenlicht. Was ich hier in dieser zweyten Sammlung versucht habe, ist wol nicht[223] viel mehr als Versuch, obgleich ich dennoch am meisten mit diesen zufrieden bin.

Statt aller weitern Verpflichtungen aber zu neuen Arbeiten wag' ich es, hier ein Verzeichniß einiger wünschbaren Lieder beyzufügen, deren Ausarbeitung ich frommen Männern und Jünglingen empfehlen mögte und gewiß nicht umsonst empfehle.

Zürich, den 27. März 1776.

Verzeichniß der wünschbaren Lieder:

1. Kirchenlieder [36 besondere Themata genannt, z.B.: »Allgemeine Lobpreisung Gottes«, »Lied am Sonntag vor der Predigt«, »Frühlingslied«, »Osterlied«, »Lied bei einer wichtigen Regenten-Wahl«], 2. Häusliche Lieder [50 Themata genannt, z.B.: »Lied eines Hausvaters«, »Lied einer schwangern Frau«, »Bußlied einer Familie«, »Lied der Kinder bey der zweyten Verheurathung des Vaters«], 3. Tugendlieder [22 Themata genannt], 4. Glaubenslieder [12 Themata genannt], 5. Historische Lieder [38 Themata genannt], 6. Lieder für Kranke und Sterbende [30 Themata genannt], 7. Lieder für obrigkeitliche Personen [21 Themata genannt], 8. Lieder für Geistliche [50 Themata genannt], 9. für Aerzte [12 Themata genannt], 10. Lieder für geübte und nachdenkende Christen [10 Themata genannt], 11. philosophische Lieder oder Lieder für Philosophen [8 Themata genannt], 12. Lieder für Deisten und Zweifler [7 Themata genannt], 13. Lieder für Schriftsteller [7 Themata genannt], 14. Wittwenlieder [12 Themata genannt], 15. Waysenlieder [7 Themata genannt], 16. Frauenzimmerlieder [18 Themata genannt], 17. Jünglingslieder [12 Themata genannt], 18. Kinderlieder [12 Themata genannt], 19. Bauernlieder [15 Themata genannt], 20. Handwerkslieder [6 Themata genannt], 21. Lieder bey verschiedenen Todesfällen [22 Themata genannt], 22.[224] Lieder für Angefochtne und Schwermüthige [10 Themata genannt], 23. Freundschaftliche Lieder [10 Themata genannt], 24. [Lieder] für alte Leute [10 Themata genannt], 25. Vermischte Lieder [18 Themata genannt, z.B.: »Lied bey einer Feuersbrunst«, »Lied eines Nachtwächters«, »Lied eines Mörders«, »Lied eines Scharfrichters«].

»Die Erndte ist groß; der Arbeiter sind wenig; bittet den Herrn der Erndte, daß er Arbeiter in seine Erndte aussende«! Und Euch, Arbeiter, will ich auch bitten, Euch senden zu lassen! Edle, kraft- und geistvolle Männer, Jünglinge, bekannt und unbekannt, erhabner Klopstock, unerschöpflicher Wieland, kraft-und gefühlvoller Goethe, und Ihr alle, von denen ich weiß, daß ihr jeder zu diesem oder jenem Fache Talente habt, laßt mich Euch nennen, anreden, aufruffen, Euch meyn' ich: Gotter, Jakobi, Stollberg, Gerstenberg, Huber, Weisse, Schlegel,[225] Kramer, Karschinn, Basedow, Voß, Hölty, Miller und Müller, Bürger, Kretschmann, Schmidt, Schlosser, Lenze, Pfenninger, Kayser, Brandstein, Gamm, Seiler, Hopf! Seyd Ihr meine Freunde, Freunde der Menschheit, so geb' jeder seinen Beytrag! Ich nenn' Euch, um Euch zu verpflichten, Euch das Versprechen abzunöthigen, mir zu willfahren. Wollt Ihr, könnt Ihr nicht ganze Sammlungen liefern, liefert Beyträge! Wählt einen Sammler, der herausgebe! O Gott, wie viel sind Euer, und wie viel hundert Unbekannte! O dürft' ich, dürft' ich austheilen! In Einem Jahre würden alle diese wünschbare Lieder fertig seyn, ohne daß[226] auf Einen zu viele Last fiele, und dann, was wäre fertig! Der Arbeit ist viel, und der Arbeiter wahrlich nicht weniger, wenn Ihr wolltet? Wie, Freunde der Gottheit und Menschheit, wollt Ihr nicht?

Zürich, den 18. März 1776.


Quelle:
Johann Kaspar Lavater: Ausgewählte Werke. Band 2, Zürich 1943, S. 223-227.
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