[168] Erstes Buch: Vermischte geistliche Gedichte.


4. Wenn nur Christus verkündigt wird!

oder: Empfindungen eines Protestanten in einer katholischen Kirche


Im März 1781.


Der kennt noch nicht Dich, Jesus Christus,

Wer deinen Schatten nur entehrt,[168]

Mir sey, was Dich nur, Jesus Christus,

Zu ehren meynt, verehrenswert!

Wenn's Täuschung nur, nur Fabel wäre,

Es fable nur zu Deiner Ehre!

Es mag mich drücken und betrüben,

Um Deinetwillen will ich's lieben,

Erinnert's nur an Dich, trägt's nur

Von Dir die allerschwächste Spuhr.


Nicht lachen will ich, lieber weynen –

Es lache, wer hier lachen kann! –,

Verliert das Große sich im Kleinen,

Verhüllt die Wahrheit sich im Wahn!

Die Wahrheit in dem Wahn zu finden,

Zu ahnden sie, sie zu empfinden,

Mich aus dem Schutt empor zu heben,

Sey meine Freude, mein Bestreben!

Umringen schwache Brüder mich,

Die Dich verehren nicht wie ich.


Was ist es, das ich um mich sehe?

Was ist es, das ich höhre hier?

Spricht nichts in der gewölbten Höhe,

In dieser Tiefe nichts von Dir?

Das Kreuz, dein Bild, dort übergüldet,

Ist's nicht zu Ehren Dir gebildet?

Das Rauchfaß links und rechts geschwungen,

Das Gloria, im Chor gesungen,

Des ew'gen Lichtleins stiller Schein,

Der Kerzen Licht meynt Dich allein!


Warum wird, als um Dich zu loben,

Den Tod der Liebe Jesu Christ,

Die Hostie empor gehoben?

Weil sie nicht mehr, weil Du sie bist!

Dir beugt die glaubende Gemeine

Das Knie! Dir macht, nur Dir, die kleine[169]

Schon früh belehrte Schaar der Jungen

Das Kreuz, regt Lippen Dir und Zungen,

Schlägt Dir mit Andacht und mit Lust

Mit kleiner Hand dreymahl die Brust!


Geküßt wird Dir zu lieb die Stelle,

Die trug dein angebehtet Blut!

Der Chorknab klingelt Dir die Schälle!

Dir thut der Küster, was er thut!

Vereinter Reichthum ferner Länder,

Die schwehre Pracht der Meßgewänder,

Der Schnörkel an des Ritters Schilde,

Das Flittergold am Mutterbilde,

Am Hals die falsche Perlenschnur

Meynt Dich doch, Jesus Christus, nur.


An marmorgleichen Hochaltären,

Wem ziert mit Zweigen sich die Wand?

Am Leichnams-Feste, wem zu Ehren

Enttröpfelt Wachs des Sängers Hand?

Wem streut man Blumen auf die Bahnen?

Wem trägt man goldgestickte Fahnen?

Wem die Ave Maria schallen,

Bist Du's nicht, dem sie niederfallen?

Ist Mette nicht, nicht Vesperzeit,

Nicht Prim' und Nona Dir geweiht?


Den Glocken in zehntausend Thürmen,

Mit ganzer Städte Gold erkauft,

Dem Blitzstrahl und den Donnerstürmen

Zu wehren, feyerlich getauft,

Ward ihnen, da in Gluht sie flossen,

Dein Bild am Kreuz nicht angegossen?

Gezogen oder schwehr getretten –

Zur Arbeit rufend und zum Behten,

Schallt Dir, schallt Dir nicht überall

Der Glocken andachtreicher Schall?


Nach deiner Huld nur, Christus, sehnet

Sich jeder Freund der Einsamkeit![170]

Nur Dich glaubt, Dich nur meynt und wähnet,

Wer sich der keuschen Armuth weyht!

Nicht Benedikts, nicht Bernhards Orden

Wär' ohne Dich gestiftet worden!

Von Dir zeugt Gottshaus, Klaus und Kloster,

Tonsur, Brevier und Paternoster!

Und wem steht, wem, als Dir zum Ruhm

Im Klostergang: Silentium?


O Wollust, Christus, deines Jüngers

Auch da, wo Einfalt fehlt und flieht,

Zu sehen Spuhren deines Fingers,

Da, wo kein Aug der Welt sie sieht!

O Wonne Dir ergebner Seelen!

Auf jedem Fels, in allen Höhlen,

In jedem Kruzifix der Hügel,

In jedem an der Straße Siegel,

Wie abgenutzt das Siegel sey,

Zu seh'n von Dir und Deiner Treu!


Wer freuet sich nicht jeder Ehre,

Von der Du Ziel und Seele bist!

Wem regt beim Gruß sich nicht die Zähre,

»Gelobet seyst Du, Jesus Christ!«

O Heuchler der, der Christi Namen

Sonst nennt und nicht ein frohes Amen

Antwortet, nicht mit Bruderblicken,

Nicht sagt mit innigem Entzücken:

»In Ewigkeit! In Ewigkeit

Sey Jesus Christ gebenedeyt!«[171]


Quelle:
Johann Kaspar Lavater: Ausgewählte Werke.Band 3, Zürich 1943, S. 168-172.
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