Asyl

[43] Hohe Klippen, ringsgeschlossen,

Wenig kümmerliche Föhren,

Trübe flüsternde Genossen,

Die hier keinen Vogel hören;


Nichts vom freudigen Gesange

In den schönen Frühlingszeiten;

Geiern wird es hier zu bange,

In so dunkeln Einsamkeiten.


Weiches Moos am Felsgesteine,

Schwellend scheint es zu begehren:

Komm, o Wolke, weine, weine

Mir zu die geheimen Zähren!


Winde hauchen hier so leise,

Rätselstimmen tiefer Trauer;

Hier und dort die Blumenwaise

Zittert still im Abendschauer.[43]


Und kein Bach nach diesen Gründen

Darf mit seinem Rauschen kommen,

Darf der Welt verratend künden,

Was er Stilles hier vernommen;


Denn die rauhen Felsen sorgen,

Daß noch eine Stätte bliebe,

Wo ausweinen kann verborgen

Eine unglückliche Liebe.

Quelle:
Nikolaus Lenau: Sämtliche Werke und Briefe. Band 1, Leipzig und Frankfurt a.M. 1970, S. 43-44.
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