An die Ersehnte

[17] Umsonst! du bist auf immer mir verloren!

Laut rufend in den dunkeln Wald des Lebens,

Hat ohne Rast die Sehnsucht dich beschworen;

Ihr Ruf durchklang die Einsamkeit vergebens.


Tief ist mein Herz erkrankt an einer Ahnung,

Von der ich nimmer wohl genesen werde,

Es flüstert mir mein Herz die trübe Mahnung:

Noch ist sie nicht geboren dieser Erde![17]


Die Stunden, die mit frohen Wandersängen

Das Mädchen einst durchs Erdental geleiten,

Sie schlummern in der Zukunft Schattengängen

Bei ihrer Bürde noch von Seligkeiten;


Von Seligkeiten, die mit leichten Händen

Die wachen einst entgegenstreuen allen,

An welche sie die schöne Gunst verschwenden,

Mit ihrer Königin vorbeizuwallen.


Die eine aber von den Schläferinnen

Wird locken sie zur Kühle von Zypressen

Und führen sie, versenkt in stilles Sinnen,

An deinen Hügel, moosig und vergessen.


Dann irrt dein Geist um deine Asche bange,

Dann zittern Geist und Staub, sich zu vereinen;

Das Mädchen aber wird am Grabeshange,

Geheim ergriffen, stille stehn – und weinen.

Quelle:
Nikolaus Lenau: Sämtliche Werke und Briefe. Band 1, Leipzig und Frankfurt a.M. 1970, S. 17-18.
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