Dein Bild

[11] Die Sonne sinkt, die Berge glühn,

Und aus des Abends Rosen

Seh ich so schön dein Bild mir blühn,

So fern dem Hoffnungslosen.


Strahlt Hesperus dann hell und mild

Am blauen Himmelsbogen,

So hat mit ihm dein süßes Bild

Die Sternenflur bezogen.


Im mondbeglänzten Laube spielt

Der Abendwinde Säuseln;

Wie freudig um dein zitternd Bild

Des Baches Wellen kräuseln! –[11]


Es braust der Wald, am Himmel ziehn

Des Sturmes Donnerflüge,

Da mal ich in die Wetter hin,

O Mädchen, deine Züge.


Ich seh die Blitze trunkenhaft

Um deine Züge schwanken,

Wie meiner tiefen Leidenschaft

Aufflammende Gedanken.


Vom Felsen stürzt die Gemse dort,

Enteilet mit den Winden;

So sprang von mir die Freude fort

Und ist nicht mehr zu finden.


Da bin ich, weiß nicht selber wie,

An einen Abgrund kommen,

Der noch das Kind der Sonne nie

In seinen Schoß genommen.


Ich aber seh aus seiner Nacht

Dein Bild so hold mir blinken,

Wie mir dein Antlitz nie gelacht; –

Wills mich hinunterwinken? –

Quelle:
Nikolaus Lenau: Sämtliche Werke und Briefe. Band 1, Leipzig und Frankfurt a.M. 1970, S. 11-12.
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