Der Unbeständige

[126] Daß ich dies und das beginne,

Heute grad und morgen quer,

Gegen das, was heut ich minne,

Morgen richte Spieß und Speer:


Sollte das so sehr dich wundern,

Du mein konsequenter Mann?

Keiner von den Erdenplundern

Lange mich behalten kann!


Heute bin ich zum Exempel

Ganz ein Metaphysikus;

Morgen schallt in Themis' Tempel

Mein unsteter Menschenfuß.


Heute steh ich nachts am Giebel,

Suche Jungfrau, Stier und Bär;[126]

Morgen les ich in der Bibel;

Übermorgen im Homer.


Blickt mein Geist im Wissensdrange

Durch ein Fenster in die Welt;

O dann paßt er auch nicht lange, –

Sieht er drinnen nichts erhellt;


Und er guckt zu einem andern

In die finstre Welt hinein!

Muß von hier auch weiter wandern,

Nirgends auch nur Lampenschein!


Freilich, wenn du unabwendig

Starrest in dasselbe Loch,

Wirds vor deinem Blick lebendig,

Dein Ausharren lohnt sich doch;


Denn die Augen dir erlahmen,

Und Gespenster malen sich

In des Fensters leeren Rahmen:

Und man nennt den Weisen dich!

Quelle:
Nikolaus Lenau: Sämtliche Werke und Briefe. Band 1, Leipzig und Frankfurt a.M. 1970, S. 126-127.
Lizenz:
Kategorien:
Ausgewählte Ausgaben von
Gedichte
Faust: Ein Gedicht
Gedichte
Die schönsten Gedichte
Gedichte (insel taschenbuch)
Die schönsten Liebesgedichte (insel taschenbuch)