In das Stammbuch einer Künstlerin

[119] Erinnerung an einen Spaziergang


Nach langem Wege durch die Sommerschwüle

Rauscht' uns ein Wald entgegen seinen Gruß,

Uns übergoß die Luft mit süßer Kühle,

Die Blätternacht mit ihrem Labekuß.

Und wie wir aus den heißen, hellen Triften,

Wo mühend sich der Mensch dem Leben weiht,

Ins Waldgeheimnis weiter uns vertieften

Und in den Schatten Gottes Einsamkeit; –

So flohen deine heiteren Gespräche

Fort von des Lebens wüstem, steilem Hang

Waldein und wanden sich als klare Bäche

Durchs Labyrinth der Kunst mit leisem Klang.

Auf ihren Wellen bebten die Gestalten

Von all den Blumen, die ihr Lauf berührt;

Ich aber sah, nachhängend ihrem Walten,

Die froherstaunte Seele mir entführt.

Quelle:
Nikolaus Lenau: Sämtliche Werke und Briefe. Band 1, Leipzig und Frankfurt a.M. 1970, S. 119.
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