Vergänglichkeit

[113] Vom Berge schaut hinaus ins tiefe Schweigen

Der mondbeseelten schönen Sommernacht

Die Burgruine; und in Tannenzweigen

Hinseufzt ein Lüftchen, das allein bewacht

Die trümmervolle Einsamkeit,

Den bangen Laut: ›Vergänglichkeit‹


›Vergänglichkeit!‹ mahnt mich im stillen Tale

Die ernste Schar bekreuzter Hügel dort,

Wo dauernder der Schmerz in Totenmale

Als in verlaßne Herzen sich gebohrt;

Bei Sterbetages Wiederkehr

Befeuchtet sich kein Auge mehr.


Der wechselnden Gefühle Traumgestalten

Durchrauschen äffend unser Herz; es sucht

Vergebens seinen Himmel festzuhalten,

Und fortgerissen in die rasche Flucht

Wird auch der Jammer; und der Hauch

Der sanften Wehmut schwindet auch.


Horch ich hinab in meines Busens Tiefen,

›Vergänglichkeit!‹ klagts hier auch meinem Ohr,

Wo längst der Kindheit Freudenkläng entschliefen,

Der Liebe Zauberlied sich still verlor;

Wo bald in jenen Seufzer bang

Hinstirbt der letzte frohe Klang.

Quelle:
Nikolaus Lenau: Sämtliche Werke und Briefe. Band 1, Leipzig und Frankfurt a.M. 1970, S. 113-114.
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