Abschied von Galizien

[452] Nach dem Polnischen des N. Boloz von Antonievicz


Lebt wohl, lebt wohl, ihr trauten Lindenbäume,

Die ihr ans stille Vaterhaus euch schmiegt!

Ihr seid die Zeugen meiner Jugendträume,

In die mich euer Flüstern oft gewiegt.


Nahm auch dem Knaben einst auf Augenblicke

Ein eingebildet Unglück seine Ruh,[452]

Und kam er trostlos dann zu euch zurücke,

So rauschtet ihr ihm Trost und Freude zu.


Von meinen frohen Spielen seid ihr Zeugen,

Von meinem raschen, leichten Jugendsinn;

Nun säuselt Wehmut mir aus euren Zweigen,

Die Tage meiner Jugend sind dahin!


Sie sind dahin! – Ein Knabe noch vor Jahren,

Nehm Abschied heute ich als Mann von euch;

Ich ziehe fort zu Taten und Gefahren,

Es gilt der Tyrannei den Todesstreich.


So lebet wohl! – Du Werkzeug meiner Spiele,

Das einst ich trug, du kleines Schwert von Holz!

Sei nun ein Blitz in der Gewitterschwüle,

Du Ritterschwert, sei des Sarmaten Stolz!


Lebt wohl, Geschwister! mög euch Gott bewahren!

Ich bin ein Pole bis zum letzten Hauch!

Hurra! ihr vaterländschen Heldenscharen!

Leb wohl, du mein geliebtes Mädchen auch! –


Schmach, Jüngling, dir! hält dich der Glanz von Tränen

Zurück vom ewig hellen Waffenglanz!

Dir, Jungfrau, Schmach! die du, bei Polens Sehnen

Nach Freiheit, nun empfängst den Myrtenkranz!


Schmach, Mutter, dir! den du zur Schmach geboren,

Umklammre deinen Sohn! entlaß ihn nicht!

Der Freiheit Ruf schlug nicht an seine Ohren,

Er fühlt für Polen keine Kindespflicht!


Dem Vater Schmach! – – doch dort, mit Silberhaaren

Wer ist der schwache Greis in Kriegertracht?

Du Alter, läßt du Weib und Kinder fahren?

Kehrst du vom Grabe um und wankst zur Schlacht?[453]


»Ich habe Weib und Kinder Gott befohlen!

Mein Haupt ist weiß, es zittert meine Hand;

Doch kämpf ich mit den heilgen Kampf der Polen:

Wohl mir! ich folge meinem Vaterland!


Und möge nicht mein Vaterland verschmähen

Des schwachen Greises ärmlichen Tribut:

Dies treue Herz, das bald wird stille stehen,

Und, der es noch erwärmt, den Tropfen Blut.«


So opfre ihn! komm, komm zu jenem Hügel,

Den unsre Scharen decken, eilen wir!

Der weiße Adler lüftet seine Flügel,

Bald wird sein Auge flammen für und für!


Lebt wohl, Geschwister! mög euch Gott bewahren!

Mir nach! wer Pole bis zum letzten Hauch!

Hurra! ihr vaterländschen Heldenscharen!

Leb wohl, du mein geliebtes Mädchen auch!


O weine nicht, bin ich dir nun entschwunden,

Und teile mit der Freiheit du mein Herz;

Sie sei Gespielin dir in bangen Stunden,

Und sterb ich, mag sie trösten deinen Schmerz!


Mein Liebchen, ich empfehle dich dem Himmel!

Hurra! Sieg oder Tod im heilgen Streit!

Kanonendonner pocht im Schlachtgetümmel

Wild an die Pforten schon der Ewigkeit! –

Quelle:
Nikolaus Lenau: Sämtliche Werke und Briefe. Band 1, Leipzig und Frankfurt a.M. 1970, S. 452-454.
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