An Seneca

[444] Durchs enge Tal nachts irret ein Wanderer;

Dumpf braust der Waldstrom, drängt an die Klippenwand

Den Pfad, der mühsam durch Gesträuch und

Bodentragende Wurzeln fortkriecht.


Der laute Sturmwind kämpft mit dem Föhrenwald;

Der Felsensohn trotzt seiner Gewalt: nun stürzt

Zornschnaubend sich der Rückgeworfne

In das Gefummel des Wogenkampfes.


Erstorben sind am Himmel die Lichter rings,

Der Sturm entfacht auf seltne Momente nur

Der Asche des Gewölkes einen

Funken, der spärlich herunterdämmert.


Die Nacht ist wild, mit wachsender Macht empört

Sturm sich und Strom! der Wanderer bebt, und weilt,

Und zaget vorwärts, zu verschlingen

Droht ihn der schwellenden Wogen Andrang.


Wie sehnt ins Heimatland sich die Seele dir!

Wie sucht dein Aug, o Wandrer, den lieben Mond!

Er bricht hervor dort und beleuchtet

Freundlich dir, eile! des Tales Ausgang![444]


So leuchte mir, wenn Stürme den Lebenspfad

Begraben einst in finstere Nacht, dein Strahl,

O Seneca, geleite freundlich

Mich ins elysische Feld hinüber!

Quelle:
Nikolaus Lenau: Sämtliche Werke und Briefe. Band 1, Leipzig und Frankfurt a.M. 1970, S. 444-445.
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