In der Nacht

[445] Alles schläft, und übers Gefild der Ruhe

Wandelt leisen Schrittes dahin des Lebens

Genius; sanft schimmert vom Weltendom die

Lampe des Mondes.


Sieh! den ernsten Zügen des Gotts entringet

Holdes Lächeln sich, denn er sieht die Lieben

In des Schlafes süßer Umarmung ihrer

Qualen vergessen.[445]


Hüll in deine Schatten mich tief, geliebte

Linde, daß die kummergebleichte Wange

Und die bange Träne sein holdes Lächeln

Nimmer verscheuche!


Ach, schon dreimal sank dir die Blut, o Linde,

Seit der Stunde, wo das Gespräch der Freunde

Von Unsterblichkeit du behorchtest, und ein

Sanftes Gesäusel


Durch dem mondversilbertes Laub uns Hoffnung

In die Seele goß, daß wir einst uns wieder

Finden; – dreimal welkte der Halm am Grabe

Meines Geliebten!

Quelle:
Nikolaus Lenau: Sämtliche Werke und Briefe. Band 1, Leipzig und Frankfurt a.M. 1970, S. 445-446.
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