Der Unhold

[486] Lächelnd lehnt er am Weidenstumpen,

Zwerghaft, bucklig, uralt, in Lumpen.

Seine abendbesonnte Herde

Freut sich brüllend der üppigen Erde.

Schauen sonst Tiere mit dunklem Leid

Menschengestalt, hier sonder Neid

Blicken die wohlgewachsenen Rinder

Auf das unschönste der Menschenkinder;

Neidlos, auch ohne Furcht und Grauen

Mag die Herde den Hirten beschauen;

Haben auch Rinder Phantasie,

Ist sie doch so gewaltig nie,

Nie von also plastischer Schärfe,

Daß in des buckligen Unholds Nähe

Sich die trächtige Kuh versehe,

Kalbend ein Dromedarlein werfe.

Quelle:
Nikolaus Lenau: Sämtliche Werke und Briefe. Band 1, Leipzig und Frankfurt a.M. 1970, S. 486-487.
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