An die medisierenden Damen

[466] Sproßt ihr wie des Frühlings junge Triebe,

Ahmt die Wange seiner Rosen Glut,

Soll das Herz auch ahmen seine Liebe,

Wie das Herz des Frühlings – mild und gut.[466]

Medisiert das Blümlein auf der Wiese,

Seinem un verlernen Paradiese?

Tuns im Wald die jungen, grünen Blätter,

Wenn sie beim Gedröhn der Frühlingswetter

Wonnig rauschen und zusammenschauern?

Geht und lauscht und lernet euch bedauern!

Liebe singt der Vogel von den Zweigen,

Und im frohen Jugendreigen

Rauben liebestrunken Maienlüfte

Aufgeblühten Blumen ihre Düfte;

Aber keinen guten Namen.

Medisiert nicht, junge Damen!

Saß ich einst in einem Mädchenkreise,

Da begann in ihrem Blütenkranze

Erst geheim zu zischeln, klug und leise,

Doch bald laut die Schlange: Medisance.

Und sie rümpften ihre feine Nase,

Ekel zuckte mancher Rosenmund,

Weil ein Name, wacker und gesund,

Von dem Biß der Schlange ward zum Aase. –

Ist der Name krank, so laßt den kranken

Ungeneckt an euch vorüberwanken;

Wollt ihr lindern nicht die Namenswunde

Mit des Frauenmitleids weichem Öle,

Laßt ihn ziehn; doch nicht in eure Runde

Reißt ihn als in eine Räuberhöhle! –

Wandelt ihr im Herbste eurer Tage,

Ist in jedem Mienenzug zu lesen

Des Verwelkens untröstbare Klage,

Daß ihr nimmer seid, was ihr gewesen;

Dann, ihr Damen, lernt vom Herbst die Wehmut,

Lernet die gedankenvolle Demut,

Nehmet mit Bedacht

Euer Grab in acht,

Statt in andrer Fehler schnöd zu kramen;[467]

Medisiert nicht, alte Damen!

Fliegt ein schuldlos Vöglein unbewußt

Über Guas-Upas giftgen See,

Stürzt es schnell, die liedervolle Brust

Ist verstummt in bittrem Todesweh.

In den Borden eurer Kessel, Kannen

Flutet Guas-Upas: Tee, Kaffee,

Und es zog kein Name heil von dannen,

Dessen Flug verirrt an diesem See;

Klang der arme Flattrer auch

Erst im heimatlichen Strauch

Wie das Lied des Vogels rein und gut,

Stürzt er tot in eure braune Flut. –

Aber, gilt es auch nicht gleich den Namen,

Noch vor einem hütet euch, ihr Damen:

Flieht auch vor dem spöttischen Belächeln,

Diesem Schleicher, weichbesohlten Diebe,

Diesem Vampir, der mit leisem Fächeln

Lullt in Schlaf die Achtung und die Liebe;

Wenn sie einnickt, aus den Adern ihr

Saugt das Herzblut mit verstohlner Gier!

Quelle:
Nikolaus Lenau: Sämtliche Werke und Briefe. Band 1, Leipzig und Frankfurt a.M. 1970, S. 466-468.
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