An die Entfernte
1.

[279] Diese Rose pflück ich hier,

In der fremden Ferne;

Liebes Mädchen, dir, ach dir

Brächt ich sie so gerne!


Doch bis ich zu dir mag ziehn

Viele weite Meilen,[279]

Ist die Rose längst dahin,

Denn die Rosen eilen.


Nie soll weiter sich ins Land

Lieb von Liebe wagen,

Als sich blühend in der Hand

Läßt die Rose tragen;


Oder als die Nachtigall

Halme bringt zum Neste,

Oder als ihr süßer Schall

Wandert mit dem Weste.


2.

Rosen fliehen nicht allein

Und die Lenzgesänge,

Auch dein Wangenrosenschein,

Deine süßen Klänge.


O, daß ich, ein Tor, ein Tor,

Meinen Himmel räumte!

Daß ich einen Blick verlor,

Einen Hauch versäumte!


Rosen wecken Sehnsucht hier,

Dort die Nachtigallen,

Mädchen, und ich möchte dir

In die Arme fallen!

Quelle:
Nikolaus Lenau: Sämtliche Werke und Briefe. Band 1, Leipzig und Frankfurt a.M. 1970, S. 279-280.
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