Traurige Wege

[273] Bin mit dir im Wald gegangen;

Ach, wie war der Wald so froh!

Alles grün, die Vögel sangen,

Und das scheue Wild entfloh.


Wo die Liebe frei und offen

Rings von allen Zweigen schallt,

Ging die Liebe ohne Hoffen

Traurig durch den grünen Wald. –


Bin mit dir am Fluß gefahren;

Ach, wie war die Nacht so mild!

Auf der Flut, der sanften, klaren,

Wiegte sich des Mondes Bild.


Lustig scherzten die Gesellen;

Unsre Liebe schwieg und sann,

Wie mit jedem Schlag der Wellen

Zeit und Glück vorüberrann. –


Graue Wolken niederhingen,

Durch die Kreuze strich der West,

Als wir einst am Kirchhof gingen;

Ach wie schliefen sie so fest!


An den Kreuzen, an den Steinen

Fand die Liebe keinen Halt;

Sahen uns die Toten weinen,

Als wir dort vorbeigewallt?

Quelle:
Nikolaus Lenau: Sämtliche Werke und Briefe. Band 1, Leipzig und Frankfurt a.M. 1970, S. 273.
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